Aris Kalaizis

Rätselbilder des Unausgesprochenen

In diesem Text bes­chreibt Dr. Peter Schlüter das Bild und die Suche hinter dem Bild anhand der Werke des Leipzi­ger Künst­lers Aris Kala­izis. Dabei entstehen lesenswerte Beo­bach­tun­gen und Bildanalysen

Aus­schnitt aus dem All­tag zwei­er Menschen: Ein nachden­k­lich­er Mann sin­nt angestrengt über etwas nach. Er ist nicht allein. Im Vorder­raum eine fast ent­blößte Frau. Ihr Gesicht ist abgewen­det. Nur die Stiefel umhül­len ein­en Teil ihres Körpers. Es ist ungeklärt, ob sie sich gerade an- oder aus­kleidet. Der Mann schen­kt ihr kein­en Blick. Er ist, ein Glas in der Hand hal­tend, an eine Wand gelehnt, kon­tem­plat­iv in sich zusam­menge­sunken. Unklar bleibt das Ver­hält­nis zwis­chen beiden, unklar, ob es ein Ver­hält­nis gab oder gibt, unklar erst recht, welchen Sinn das 2004 entstandene Bild „Das eng­lische Zim­mer” haben soll. 


…es ist die Welt des Traums mit äußer­ster Sparsamkeit erzielt


Paradig­mat­isch weist dieses Gemälde nicht nur jedes schnelle Ver­stehen ab, son­dern über­haupt jede Ver­ein­nah­mung für mensch­liche Zusam­men­hänge. Es erstaunt dah­er nicht, dass Aris Kalaizis' Fig­uren fast immer ein­en starken Selb­st­bezug zei­gen, unfähig, nach außen zu sehen. Es ist eine sch­weigsame Welt, in der sich fast alles wie im Leben abspielt, in der die Leute fast echte Leute sind, in der fast alles natür­lich ist, in der man nicht zu viele Fra­gen stel­len darf – wir kennen sie: Es ist die Welt des Traums, die er mit äußer­ster Sparsamkeit der Mit­tel erzielt. Die Dinge sind in Kalaizis' Bild­welt geprägt von ein­er Aura der for­m­alen Klar­heit, der zun­ehmenden Stille, aber auch der Entrück­theit. Wie über­haupt für diesen Maler das Ver­traut­wer­den mit sein­er unmit­tel­bar­en Umwelt ein Prozess per­sön­lich­er Selb­st­find­ung ist. Es scheint dah­er aus­sicht­s­reich, wenn wir uns zun­ächst diesem noch recht jun­gen Maler­leben bio­grafisch zu nähern versuchen.

Aris Kalaizis | Das englische Zimmer | Öl auf Holz | 60 x 90 cm | 2004
Aris Kalaizis | Das englische Zimmer | Öl auf Holz | 60 x 90 cm | 2004

Ver­allge­mein­ernd ließe sich zun­ächst behaupten, dass Kalaizis' bish­eriges Leben von außer­or­dent­lich­er Stetigkeit geprägt ist und frei zu sein scheint von größer­en Aufgereg­theiten. 1966 wurde er als Sohn griech­is­cher polit­ischer Emig­ranten in Leipzig geboren. Bezeichn­ender­weise wuchs er als Kind im Leipzi­ger West­en in ein­er Strasse auf, die den Namen eines Malers trug: Lucas Cranach. Seine Eltern kamen als Flücht­linge des griech­is­chen Bür­gerkrieges 194849 in die dam­a­lige sowjet­ische Besatzung­szone. Aufge­wach­sen in ein­er noch eng­stirni­gen Zeit, spürte er zun­ächst durch den kul­turel­len Hin­ter­grund der Eltern ein Anders­sein, welches seine frühe Intro­ver­tier­theit erklären könnte.


Aus dieser Intro­ver­sion wird sich die Behar­rung und Entschied­en­heit sein­er heut­i­gen Malerei gespeist haben. Zwar scheint die Intro­ver­tier­theit früher­er Tage gewichen, sein kon­sequentes Insistier­en ist jedoch geblieben. Der ganz per­sön­liche Charak­ter dieses Prozesses zeigt sich etwa in Kala­izis‘ Äußer­ung: „…Je mehr Maler ich wurde, desto leichter fiel es mir, auf Menschen zuzuge­hen, denn es gibt viel­leicht nichts Ein­sameres als konzentriertes Malen.” Und er ist kein nomadis­cher Maler, der das nach Hause gezer­rte Frem­de wie eine Ware anbi­etet. Er bleibt, seinem Naturell ents­prechend, ein ses­shafter Maler­typ, auch wenn er im kom­menden Jahr ein Arbeitss­ti­pen­di­um in den USA wahrneh­men wird. Die Seßhaftigkeit, das sei unter­stellt, ist ein Wesenszug, der das geduldige und konz­etrierte Herausarbeiten der Kom­posi­tion­en jeden­falls nicht behindert. 


…Kalaizis' Bilder sind ein intimes Tagebuch, eine Art geheime Nieder­s­chrift des Denkens


Noch vor seinem Malere­istu­di­um an der Leipzi­ger Akademie bei Prof. Arno Rink, dessen Meister­schüler er 2001 wurde, interessierte ihn die Foto­grafie. Später erst kam das Interesse für das Filmis­che hin­zu. Auch wenn es den Anschein hat, als entsinne er in sein­en jünger­en Bildern filmis­che Momen­tauf­nah­men, so bleibt stets deut­lich, wie entschieden er als Maler agiert. Denn beide Genres interessier­en ihn nur, insofern sie der Malerei behil­f­lich sein können. 
Kala­izis arbeitet nicht nach Zeich­nun­gen, son­dern ver­faßt wie ein Dre­hbuchautor ein Script. Man ist ver­sucht zu sagen, dass das Schreiben Kalaizis' intimes Tagebuch ist, eine Art geheime Nieder­s­chrift des Den­kens, ein Blick, der den Blick stud­iert, das Auge des Künst­lers, das beo­bachtet, was die Augen des Künst­lers erfassen. All die Dinge, all die Fig­uren, die wir let­zt­lich auf sein­en Bildern sehen, sind Schöp­fun­gen, die aus dem Ges­chrieben­en entstehen. Das Schreiben ist somit Etappe sein­er Kon­tem­pla­tion. Gewiss liegt dieser Hal­tung der Zweifel inne: Sich der Natur zeichn­end zu nähern.


Auch arbeitet Kala­izis nach Fer­tig­stel­lung seines „Dre­hbuches” nicht nach einem ein­zi­gen Foto, son­dern zun­ehmend nach mehr­er­en selbst gefer­tigten Auf­nah­men, was ihn vom Typus des Fotoreal­isten unter­scheidet, da jen­er keine neue Real­ität heraus­fordert. Das, won­ach er strebt, ist nicht Naturtreue schlech­th­in, son­dern Malerei, die sich ein­er ima­ginier­ten Wirk­lich­keit bedi­ent. Mit äußer­ster Genauigkeit spürt er die Schwere und Unwäg­barkeiten der Gegen­stände, der Ele­mente der Natur, der Körp­er, und er lässt sie spüren. Dah­er nährt sich seine Real­ität ein­er­seits aus der Genauigkeit des Sehens, ander­er­seits bedi­ent sie sich der schöp­ferischen Kraft des Traumes.


Daraus erst ergibt sich der erneuernde Ver­lauf und es fol­gt, dass Aris Kala­izis die zu lösende Aufgabe in der Erfind­ung sieht und nicht in der Nachah­mung. Denn ein Künst­ler, der ein­en wirk­lichen oder ima­ginären Gegen­stand darstel­len will, fängt nicht nur dam­it an, dass er die Augen aufmacht, son­dern dam­it, dass er nach Farben und For­men sucht, aus den­en sich der Gegen­stand auf­bauen lässt. Man würde den wahren Charak­ter sein­er Bild­welt verkennen, wenn man sie bei aller detail­lier­ten Aus­führung als „Nachah­mung” bezeich­nete. Das Bild der Erschein­ung gewin­nt bei ihm abso­luten Vor­rang vor dem Nachschaf­fen der Dinge selbst. Dabei han­delt es sich nicht so sehr um Beo­bach­tun­gen als um uner­müd­liches Experimentieren.


Pla­to lehnte, wie wir wis­sen, die Kunst sein­er Zeit ab, da der Künst­ler nicht wirk­liche Dinge, son­dern Scheindinge her­vor­rufe, also nichts als Träume und Illu­sion­en. Ver­g­lich er doch den Künst­ler dar­um mit einem Soph­isten, der seinem Zuhörer Dinge vor­spiegele, die der Wirk­lich­keit nicht ents­prächen. Denn die Ähn­lich­keit, die der Künst­ler erzeuge, fährt Pla­to fort, entstehe nur in unser­em Geiste. Zwar war sich Pla­to über die enge Ver­bindung zwis­chen Fantas­ie des Künst­lers und der des Pub­likums im Klar­en, jedoch verkan­nte er noch den Wirk­lich­keit stiftenden Gehalt der Neuschöp­fung im Bereich der Kün­ste, da sich schon bald die Erken­nt­nis anbahnen soll­te, dass wir mit Malerei nicht nur ein Fen­ster zur sicht­bar­en Welt, son­dern auch ein Instru­ment zum Auf­schließen inner­er Wel­ten besitzen.


…in den Tiefen unser­er Psyche nach dem Unaus­ge­sprochen­en und Unaus­s­prech­lichen suchen


Dies hatte allerd­ings zur Folge, dass fort­an jede annähernde Deu­tung von Bildern eine geistige Ein­stel­lung zur Voraus­set­zung hat. Natür­lich mobil­is­iert selbst ein Bild wie Kalaizis' „Bran­card” (2004) alle Kun­st­griffe des Lichts, der Per­spekt­ive und so weit­er, aber nicht um es har­mon­isch im gleichen Sinne wirken zu lassen, son­dern um es in ein­en Zus­tand ungelösten und unlös­bar­en Kon­f­likts zu führen. Die Explo­sion in der ober­en Bil­decke ist nur angedeutet und beiläufig darges­tellt. Zwis­chen der weg­weis­enden Blume, einem oft erschein­enden Motiv, und jenem Inferno, eine chif­frierte Frau. Schein­bar unber­ührt von den Ges­chehn­is­sen steigt sie eine Treppe hin­auf, eine Tasche in der Hand hal­tend. Hier liegt der Punkt, von dem aus Kala­izisBilder zu uns sprechen, die wie Vexierbilder oder Bilderrätsel unseren ganzen Scharfsinn herausfordern und uns zwingen, in den Tiefen unserer Psyche nach dem Unausgesprochenen und Unaussprechlichen zu suchen. So könnten uns Kalaizis Bilder ihr Geheim­nis mit­teilen. Ihr Sinn wird durch unsere Sinne jedoch nur gestreift, nur angedeutet. Ein Beis­piel, wie das Abhören undeut­lich­er Mel­dun­gen, kann illus­tri­er­en, wie eine ver­such­s­weise Deu­tung das tat­säch­lich Gehörte irre­vers­i­bel verändert.

Ozean | Öl auf Holz | 120 x 140 cm | 2004
Ozean | Öl auf Holz | 120 x 140 cm | 2004

In „Die Lich­tung” (2004) und „Ocean” (2004), wor­in Kala­izis seine neun­jährige Tochter Nike malte, lassen uns zwar die Farben der Gemälde Kälte und Ein­samkeit empfind­en, bei länger­er Betrach­tung jedoch scheint sich hinter der mel­an­chol­ischen Stim­mung eine Hoffnung ihren Weg zu bahnen. In diesen Bildern scheint alles ers­tar­rt und nichts scheint sich zu bewe­gen. Das Bild „Ocean” wirkt indes wie ein gemaltes Pro­gramm. Das Mäd­chen träumt offen­en Auges bei vollem Bewusst­sein. Diese Bilder sind süß und ern­sthaft zugleich, wie die Anmut ein­er liebevol­len Lieb­kosung, wie das Sch­wei­gen zwis­chen dem nachden­k­lichen klein­en Mäd­chen und dem Maler, der sie betrachtet – ver­wun­dert, hingegeben, mit vol­len­deter Fre­und­lich­keit. Und: Zur neuer­en Ent­deck­ung gehört auch die Ver­schiebung der ges­amten Farb­skala, die Auf­hel­lung der Palette. In fast all sein­en Werken begegnen uns ähn­liche Figuren. 


Und auch die Dame mit der mys­ter­iösen Leder­tasche, dem orange­farben­en Kopftuch sow­ie der Sonnen­brille, begegnet uns auf vielen sein­er Gemälde. Hinter der Fas­sade jen­er Fig­ur ver­birgt sich die Frau des Malers, Annett, die ihr­em Mann oft Mod­el stand. Wahr­schein­lich diente gar die let­zte Tafel des vier­teili­gen Bildzyklus „The Ideal Crash” aus dem Jahre 2002/2003 als Aus­gang­spunkt für die fort­führende Ein­bez­iehung dieses Frauentyps. Ihr stetes Insichgekehrt­sein ist geprägt von per­man­enter stil­voller Eleg­anz. Aber in ihr kom­mt auch eine erot­ische Aufladung zum Vorschein, die sich nicht zu entladen scheint. Diese Fig­ur ist typisch für Kala­izis‘ charak­ter­istisches Spiel des Offen­bar­ens und Ver­ber­gens, des Zei­gens und Ver­hül­lens, die ihm eigene Dialektik von Andeu­tung und Aussparung. 


…Dop­pel­natur des Menschen. Seine Helden und Anti­helden sind Sünder und Hei­lige zugleich


Den neuen Bildern sind zudem eine Reihe von weit­er­en Gestal­tungs­merk­malen gemein, die sich von den bühnen­artig kom­ponier­ten Werken der Frühzeit unter­scheiden. In der Malerei, wie in der Musik oder der Dich­tung, ist die Vari­ation ein Vergnü­gen, das sich der Erfind­ungs­geist selbst bereit­et. Die Übung der Vari­ation ist aber auch ein Spiel, das sich die Freiheit nim­mt, indem es sich Bes­chränkun­gen aufer­legt. Da ist zum ein­en die gemalte Wieder­kehr der klis­chee­haften Schiffssym­bo­l­ik, die Blume, die oft ähn­liche Aufführung der Hin­ter­grundar­chitek­turen sow­ie zum ander­en das bereits bes­chriebene Her­vorholen des stets wieder­kehrenden Frauenty­pus. Zwar bedi­ent sich Kala­izis seines Bil­der­in­vent­ars gern und reich­lich, entscheident aber bleibt, dass dieser Ideen­reichtum niemals orna­ment­al wird, son­dern immer der Integ­ra­tion zu dien­en hat. Obgleich sich Kala­izis durch eine strenge Regel bind­et, ent­deckt er so zugleich die Mög­lich­keiten sein­er Erfind­ung, die unver­hofften Früchte jen­er Kom­bin­at­or­ik, die sich aus der Kon­stanz ergeben. 
In „Die dop­pelte Frau” (2004) begegnet sich gar die gleiche Per­son. In diesem Bild wird umso deut­lich­er, was in früher­en Bildern nur zu ver­muten war: Die Dop­pel­natur des Menschen. Seine Helden und Anti­helden sind Sünder und Hei­lige zugleich, so wie in ihm selbst gegensätz­liche Züge angelegt scheinen. 


Zum ander­en gibt es das unver­mit­telte, ration­al nicht zu ergründende Zusam­men­tref­fen het­ero­gen­er Wel­ten. Das Bild „Der Aus­flug” 2004, welches aus unter­schied­lich­sten Real­ität­seben­en gebaut wurde, führt ebenso in eine Ambi­val­enz, die ver­schiedene Ansicht­en der­selben Größe ver­eint. Man kann sog­ar sagen, mit der nöti­gen Vor­stel­lung­skraft wer­den unend­lich viele Inter­pret­a­tion­en mög­lich. Ver­mut­lich liegt dieser Tat­be­st­and im inner­en Span­nungs­ver­hält­nis des Künst­lers begrün­det. Bereits 1997 aüßerte sich Kala­izis im Gespräch mit dem Sozi­olo­gen Jan Siegt dazu fol­gen­der­maßen: ”Die Kon­f­likt­situ­ation ist Teil mein­er Phys­is, da ich ja im Grunde ein Hin und Her zwis­chen den Polar­itäten bin. Eine Leidenschaft zu bez­iehen aus der Abnei­gung zum Dasein, was ja auch immer mit­spielt, oder aus uneinges­chränk­ter Daseins­be­jahung, kön­nte ich nicht.”

Die doppelte Frau | Öl auf Holz | 90 x 161 cm | 2004
Die doppelte Frau | Öl auf Holz | 90 x 161 cm | 2004

Während jedoch die früher­en Bilder das Polar­ische in der Serie zu har­mon­is­ier­en sucht­en, tritt uns heute ein meta­phys­is­cher Ansatz im klassis­chen Tafel­b­ild ent­ge­gen. ”Die dop­pelte Frau” oder „Die Lich­tung” sind zudem gek­en­nzeich­net durch eine kom­plexe Bez­iehung von Licht und Fin­sternis. Ein­er­seits dient dieses Kom­pos­i­tionsmit­tel zum Auf­bau for­m­aler Span­nun­gen, ander­er­seits dazu, den Betrachter in Anspielun­gen zu ver­stricken. Die halb geöffneten Türen, hinter den­en nichts als Dunkel­heit zu ver­muten ist, erzeu­gen eine Art Schwebezus­tand. Die Fin­sternis ver­weist auf eine spirituelle Präsenz des nicht Anwesenden. 


Und es ist die gleiche Ambi­val­enz des An- und Abwesenden, die man bereits in früher­en Bildern wie „Fargo” (2002) find­en kon­nte. Natür­lich zeigt sich hier, dass der Künst­ler um die enge Ver­bindung zwis­chen sein­er Fantas­ie und der des Pub­likums wusste. Anders aus­gedrückt: Nur Werke, die im Zus­tand ein­er gesteiger­ten Ein­bildung­skraft geschaf­fen wer­den, können an unsere Ein­bildung­skraft appel­lier­en – wo nichts ist, kann nichts wer­den. Frei­lich set­zt dies voraus, dass der Fähigkeit des Malers, anzudeu­ten, die Fähigkeit des Betrachters, Andeu­tun­gen zu ver­stehen, ent­ge­gen kommt. 


…dem wohl­wollenden Betrachter kom­men die Andeu­tun­gen Kalaizis' ent­ge­gen, weil ihm das Erleb­nis der Ver­wand­lung Freude bereitet


Und: Blickt man auf die let­zten Jahre des heute siebe­nun­d­dreißigjährigen Malers, so stößt man immer wieder auf Über­ras­chendes. Schuf er früh­er auf der Ober­fläche geb­rauchter Holzpaletten eine Serie von Assembla­gen, so über­ras­cht uns heute ein Sujet umso mehr: Die Land­schaft. Bez­ieht man sich auf Kalaizis' bish­erige Äußer­ungen, so stel­len beide Darstel­lungs­mög­lich­keiten kein­en unver­ein­bar­en Gegensatz dar, denn in ihnen kom­mt ein jew­ei­liges Ringen um Abstrak­tion zum Aus­druck. Während die Assembla­gen aus dem Jahr 2003 nur all­mäh­lich auf dem Bildträger aufge­baut und arran­giert wur­den, sind die Land­schafts­b­ilder „Wald­stück Köhra I‑III” durch eine all­mäh­liche Reduk­tion, Weg­nahme gek­en­nzeich­net. Beide Genres haben zwar somit ver­schiedene Ansätze zur Grundlage, sie find­en sich jedoch an einem Punkt gemein­samen Strebens nach Klar­heit und Ver­ein­fachung in Farbe und Form wieder. Merkwür­di­ger­weise malte Kala­izis den land­schaft­lichen Raum seines Trip­ty­chons fast unter Außer­acht­las­sung der Tiefendimension.


War soeben die Rede dav­on, dass er in sein­en Fig­uren­bildern dem Raum mehr Platz offer­i­ere, so ist in den Land­schaften eine gegen­teilige Tendenz zu kon­statier­en, was zwangsläufig zu einem flächiger­en Kom­pos­i­tion­sauf­bau führen muss. Betrachtet man die Angele­gen­heit ana­lyt­isch, so stellt man fest, dass in diesen klein­en Land­schaften leicht­es und schweres For­mengeschütz ein­ander bee­in­flussen und so jene eigentüm­liche und span­nung­s­reiche Het­ero­gen­ität erzeugen. 


Bez­ieht man sich aber auf die jüng­sten Bilder Aris Kalaizis', so wird die zun­ehmende Ent­deck­ung des Raumzusam­men­hangs – auch im Hin­blick auf die Leipzi­ger Schule – augen­fäl­lig. Während im Früh­werk der Mensch im Zen­trum des Bildes stand, so tritt er heute zuse­hens hinter jen­er bedächtig gebauten Architekur zurück. Auch das erwäh­nte Zen­trum als kom­pos­it­or­ischer Kristall­a­tion­spunkt scheint dem Poly­zentrischen zu weichen. Wie in den früher­en Far­gobildern, ist im Bild „Die Nacht stirbt vor der Stille” (2004) ein Ver­weis auf etwas außer­halb der Bild­gren­zen Lie­gendes gegeben. Und obwohl dieses Bild in sein­er aus­bleibenden Kom­pos­i­tionsstrenge untypisch erscheint, wirkt es gleich­sam wie ein Pro­gramm, da auch jenes Bild auf der Lein­wand keine feste Ver­anker­ung zu haben scheint. Denn es wird gleich­sam nur in unser­em Geiste heraufbeschworen. 


Und es zeigt sich, dass Kalaizis' Bilder alles­amt mehrdeut­ig sind. Nur kann man eben Mehrdeut­igkeit als sol­che niemals direkt wahrneh­men, da man ihr­er nur gewahr wer­den kann, indem man lernt, von ein­er Deu­tung zur ander­en hinüberzuwech­seln. Gerade weil er dem Betrachter immer mehr über­lässt, zieht er ihn in den Zauberkre­is seines Schaf­fens und ermög­licht ihm, etwas von der Freude am Schaf­fen zu erleben. Dem wohl­wollenden Betrachter kom­men die Andeu­tun­gen Kalaizis' ent­ge­gen, weil ihm das Erleb­nis der Ver­wand­lung stets Freude bereitet.

©2005 Peter Schlüter | Aris Kalaizis


Dr. Peter Schlüter arbeitet als fre­is­chaf­fend­er Joun­al­ist. Er lebt und arbeitet in Ber­lin und Amsterdam

© Aris Kalaizis 2024