Aris Kalaizis

Bilder, die vom Innenbezirk kommen

Dr. Peter Schlüter begre­ift in seinem in die Tiefe gehenden Essay, Aris Kala­izis als ein­en kryptischen Maler, der mit for­m­aler Strenge gegen den gnaden­losen Dekon­struk­tion­szwang der Mod­erne auf­begehrt. Hier­in wer­den Bilder der Jahre 2001 – 2003 behandelt

Aris Kalaizis | The Ideal Crash | Öl auf Leinwand | 4x 135 x 175 cm | 2001/02
Aris Kalaizis | The Ideal Crash | Öl auf Leinwand | 4x 135 x 175 cm | 2001/02

Aris Kalaizis' Bilder strotzen vor Freude an der Anord­nung. Die Bildteile, aus den­en das Ges­amt­werk zusam­menges­tellt ist, sind sehr genau nebenein­ander oder übere­in­ander geschoben. Kur­zum: Sie sind gebaut.
Ansatz sein­er Arbeit ist die Inszen­ier­ung. Sorgsam und geduldig entwift er sein Bild im Kopfe. Aus den klar­en For­men sein­er Bild­in­terieurs wird all­mäh­lich ein präzis kon­stru­iertes Ges­am­tar­range­ment. Das er oft Mon­ate, gar Jahre mit einem Bild ver­bringt, ist Beweis ein­er inner­en Versen­kung. Die Geduld bei der Aus­arbei­tung sein­er Bilder, Beleg für die Stille sein­er tiefen Kon­tem­pla­tion, sein­er ver­sonnen Träumerei. Das Bild, welches Kala­izis in Angriff gen­om­men hat, lässt er gelassen in sich reifen, lässt sich von ihm ein­neh­men und von ihm durchdringen. 


Er ist gewiss kein Maler fortwährender Produk­tion. Diesen durch Lang­samkeit gek­en­nzeich­neten Entstehung­s­prozess kann man durchaus als Gegen­ent­wurf, als eine Ablehnung auf die Fließbanderzeugn­isse post­mo­d­ern­er Malerei ver­stehen. Untypisch jedoch für ein­en Maler ist das Fern­bleiben jeg­lich­er zeich­nerischen Skiz­zier­ung. Kala­izis zieht die Foto­grafie der Zeich­nung vor, weil ihm dar­in erst die ihm umgebenden Orte, in all ihren For­men begre­if­bar wer­den. Frei­lich hat auch dieser ungewöhn­liche Ansatz eine zun­ächst vom Maler beo­bachtete Annäher­ung zur Grundlage. Hier­durch ver­fügt er ein­er­seits über die Anschauung, ander­er­seits ver­lei­ht ihm diese Form der Betrach­tung die Mög­lich­keit, Abstand zu neh­men. Auf diese Weise entlehnt der Maler die Bild-Orte sein­er Umwelt, schält sie aus ihr heraus, als sei­en die später zu mal­enden Hin­ter­grundszenari­en ein Zurgel­tun­g­brin­g­en des Über­se­hen­en. Wie kaum ein ander­er macht er sich das Vorge­fundene zunutze und insistiert behar­r­lich wie im Bilderzyklus „The Ideal Crash” oder „Fargo I/II” auf sein­er Eroberung. 


…ist gewiss kein Maler fortwährender Produk­tion. Diesen durch Lang­samkeit gek­en­nzeich­neten Entstehung­s­prozess kann man durchaus als Gegen­ent­wurf, als eine Ablehnung auf die Fließbanderzeugn­isse post­mo­d­ern­er Malerei verstehen


Wenn, wie in diesen Bildern, seine Meth­ode ein­er Verknüp­fung gelingt, entsteht ein Erzäh­len, dass kon­sequent auf Wieder-Holung im Sinne ein­er Wiedergewin­nung durch die malerische Groß­form set­zt. Bereits seine früher­en Bilder deu­ten auf den wieder­holenden Ges­tus hin. Auch sie sind bereits streng aus­ges­part und bestechen durch den genauen Blick für das konkrete Detail. In jen­en stu­dentischen Jahren an der Leipzi­ger Kunstakademie set­zte er sich bereits intensiv 
mit dem rein­en Form­al­is­mus eines Fran­cis Bacon aus­ein­ander. Während jedoch die Malerei dieser Jahre jeg­lich­er ver­mit­telnden Ver­ständi­gung aus­zu­weichen ver­suchte, lässt sich heute behaupten, dass an die Stelle der einst vernein­enden Bild­in­ter­pret­a­tion, die Mög­lich­keit ein­er Bilderzählung getre­ten ist. Seine malerische Wirk­lich­keit lässt nun­mehr eine Inter­preti­erbar­keit zu. Der Maler ist nach wie vor für ein Erfind­en, gibt jedoch ander­er­seits sein gez­ieltes Ver­meiden von Geschicht­en auf. Man kann sagen: Sein Geb­et ist nun­mehr das Erzäh­len. Gewiss, seine Malerei hat sich enorm ver­ändert. Die Erfahrungen der Stud­i­en­zeit schwin­gen jedoch auch in sein­en jüng­sten Bildern mit. Auch sie sind kom­pakt und voll Form. Und doch brauchen sie neben dem Auf­bruch ins Klare, auch den ins Ungewisse. 


Der Erfind­ung­s­reichtum seines präzis­en, sehr bedacht­en Nat­ur­al­is­mus ver­drängt dabei jeden vorder­gründi­gen Real­is­mus und begrün­det die spezi­fis­che Mod­ern­ität sein­er Bilder. Die ver­schienden­en Wege erzählerischer Inter­preti­erbar­keit lassen dah­er weni­ger auf ein­en kon­ven­tion­el­len Schil­der­ungs­ges­tus, als viel­mehr auf eine magisch beseelte Welt schließen, die ihr Eigen­leben entwick­elt. Durch dieses magis­che Erzäh­len rück­en die Dinge in ein neues Licht, in dem sie von sich aus zu strah­len beginnen. Der Eindruck, den die Betrach­tung sein­er Bilder erregt, ruft ein­en gewis­sen Taumel, eine Störung des inner­en Gleichgewichts her­vor, welche in der Wahrnehmung begrün­det liegt, dass die gewohnte Ord­nung, das Gefüge unser­er Welt in ihr­er Fest­igkeit get­ro­f­fen ist. Bei ihm sind die Dinge zweideut­ig geworden und rufen sogleich die Frage her­vor, inwiefern ihnen noch zu trauen ist. Leben und Tod, Traum und Wirk­lich­keit fließen selt­sam inein­ander ein. Das Beweg­liche scheint ers­tar­rt und das Starre unheimlich.


…und doch brauchen sie neben dem Auf­bruch ins Klare, auch den ins Ungewisse


Kala­izis hat keine Them­atik in jenem Sinn, der den Gelehrten befriedigt. Bei ihm liegt der Zusam­men­hang dichter am Sein. Er fol­gt keinem Thema, son­dern bringt The­men her­vor. Nicht ver­wun­der­lich ist in diesem Zusam­men­hang, dass Kala­izis sich weder zum Real­is­mus, noch zum Sur­real­is­mus bek­en­nt. Eine real­istische Tendenz ist den­noch nicht zu leugnen, weni­ger weil er all­täg­liche Begeben­heiten darstell­te, son­dern weil er dem Poten­tial, das sich in banal­sten Gegen­ständen ver­birgt, eine strah­lende Real­ität zu ver­lei­hen weiß. Denn es gilt zwis­chen ein­en Real­is­mus der Ober­fläche und ein­en Real­is­mus der Tiefe zu unter­scheiden und macht viel­leicht erklär­lich, war­um sich Kala­izis nicht uneinges­chränkt zum Real­is­mus bek­en­nt. Auf jeden Fall aber legt es die Ver­mu­tung nahe, dass er, trotz früher­er gegen­teili­ger Beteuer­ungen, den­noch eine Wirk­lich­keit aus­drückt, die zwar nicht die äußere, aber doch seine innere Wirk­lich­keit in Bildern einfängt.

Aris Kalaizis |Die große Hoffnung | Öl auf Leinwand | 151 x 181 cm | 2002
Aris Kalaizis |Die große Hoffnung | Öl auf Leinwand | 151 x 181 cm | 2002

War er in den frühen Jahren von der Malerei des Engländers Fran­cis Bacon bee­in­flusst, so beg­leitete ihn, von den Anfän­gen bis zum heut­i­gen Tag, ein Maler fortwährend: Jusepe Rib­era. Ihn, den großen düster­en span­is­chen Barock­maler, hat er unent­wegt verehrt und ihm die Rolle eines maßgebenden Lehrmeisters zukom­men lassen. In Rib­era sieht Kala­izis ein­en Maler „…der sein aus­we­gloses Dasein malerisch entwirft”. Zun­ehmend wirken seine Bilder jedoch wie ein Ein­spruch gegen Rib­era, da er sein Leben immer mehr als „Daseinsges­chenk” begreift.


So baut Kala­izis in seinem Bild „Die große Hoffnung” aus dem Jahre 2002 zwei Menschen vor die Ver­fall­sku­lisse ein­sti­ger Betrieb­samkeit. In dieser schein­bar tristen Land­schaft organ­is­iert er nun eine Bewe­gungs­dy­namik, die von ein­er bedürftig anmutenden Per­son im Hin­ter­grund aus­ge­ht und sich diag­on­al bis zur linken ober­en Bil­decke vollzieht, wo sich das Haupt ein­er ver­führ­erischen Schön­heit befin­d­et. Man kön­nte ver­muten, dass der aus­gestreckte Arm des Mannes nach jen­er weib­lichen Ver­suchung trachtet, die sich jedoch ihr­er­seits von ihm zu ent­fernen scheint. Kala­izis baut nun aber die Frau in ihr­er raum­gre­ifenden Dom­in­anz ledig­lich als Fas­sade ein. 
Das eigent­lich for­m­ale wie auch inhalt­liche Zen­trum ist jedoch die Plastiktüte. Jenes, anschein­end vom Winde hin­auf­schwebende Gebilde, welches der Künst­ler mit dem ein­zig war­men Farb­ton malte, ist für den am Boden sitzenden eine ein­zige sehn­sucht­getriebene Verkündigungsmetaphorik. 


…dem Bekan­nten die Würde des Unbekan­nten, dem End­lichen ein­en unend­lichen Schein verliehen


In ihr spiegelt sich ein barockes Verkündi­gungsszenario wieder, welches sich bereits in früh­christ­lich­er Malerei, durch die Anwesen­heit von Engeln ereignete. Dadurch, dass der Mann imstande ist zu sehen, begre­ift er die Situ­ation und erhellt seine Würde. Die durchgearbeitete Eindring­lich­keit dieses Bildes ber­uht auf der Aus­ein­ander­set­zung zwei­er Bilder­wel­ten, zwei­er Par­al­le­lu­ni­versen. Zum ein­en gibt es die Ikono­graph­ie mit­telal­ter­lich­er Heils­geschicht­en, zum ander­en die Medi­en­welt unser­er heut­i­gen visuel­len Erlösung­sange­bote. Diese beiden Wel­ten trennt Kala­izis nicht, son­dern ver­bind­et sie durch ein Anbrin­g­en poet­ischer Scharniere mitein­ander. So wer­den die Wel­ten auf rät­sel­hafte Weise übere­in­ander gel­a­gert, dass sie nicht mehr zu unter­scheiden sind. Das Heut­ige bekom­mt den Anschein des Gestri­gen und das Ver­gan­gene erhält den Geschmack des Gegen­wärti­gen. Natür­lich stehen die mit­telal­ter­lichen Glücks­ver­sprechen für ein­en Sinnkos­mos, der in sich geschlossen ist und dessen Ver­lust wir heute als so tra­gisch empfind­en, weil wir die Beglaub­i­gung dieses Kos­mos nicht mehr haben, aber den Sinn gerne hätten. 


Kala­izis ver­meidet in „Die große Hoffnung”, ein­en alles entscheidenden Aus­gang und belässt, so hoffnungs­ge­laden die Botschaft auch sein mag, im Mög­lich­keit­s­raum des Ungewis­sen. Dieses Bild ist ein Paradigma ein­er sich pro­fan gebenden aber keineswegs pro­fan seienden Malerei.
Man glaubt wohl, sich sein­en Bildern nähern zu können, eben weil die Hand­lun­gen so klar darge­boten wer­den und doch ist man selbst ein­er Ents­prechung eines zweiten Blickes unter­le­gen. Er erreicht dies, weil er dem allge­mein­en ein­en hohen Sinn, dem gewöhn­lichen ein geheim­nisvolles Anse­hen, dem Bekan­nten die Würde des Unbekan­nten, dem End­lichen ein­en unend­lichen Schein ver­lei­ht. Das Rät­sel­hafte scheint immer unabdingbar,wirkt niemals aufge­set­zt , da es mut­maß­lich dem Geheim­nis des Bildautors ents­pringt. Aber es gibt auch das Klassis­che der „Frauenbilder”(2003) in den­en er die stumme Kraft der Por­traits zum Aus­druck bringt. In ihnen scheint alles ana­lo­gis­iert: Licht­führung, Hal­tung, Kleidung und Far­bigkeit. Jedoch herrscht in ihnen eine vom Künst­ler gewoll­te Leere, die das klassis­che, indi­vidu­al­is­i­er­ende Por­trait entkräftet.

Aris Kalaizis | Der Besuch | Öl auf Leinwand | 135 x 175 cm | 2001
Aris Kalaizis | Der Besuch | Öl auf Leinwand | 135 x 175 cm | 2001

In allen Bildern jedoch ver­birgt sich etwas beun­ruhi­gendes. Eine Beun­ruhi­gung ist nahezu immer gegen­wärtig. In „Der Besuch”(2001) tritt eine Fig­ur ins Bildges­chehen, von der man mein­en kön­nte, sie stamme aus ein­er weit zurück­lie­genden Zeit. Die Span­nung im Bild entsteht, weil zwis­chen jenem vorz­ivil­isat­or­isch anmutenden Menschen und seinem ver­meint­lichen Recht, die Wis­senschaft steht. Die Bris­anz der Kon­stel­la­tion, genährt aus phys­is­cher Über­le­gen­heit des Früh­menschen, angedeutet durch die Keule, und sub­tiler Macht ein­er intellektuell sow­ie tech­nisch hochger­üstete Forscherge­meinde ist enorm. Eine Entladung erfol­gt nicht. 


Kalaizis' Bilder wären nicht wirk­lich die sein­en, wenn man nicht unter der ruhi­gen Ober­fläche jene eigentüm­liche Span­nung fühlte. Diese Malerei erschöpft sich nicht in ihr­em Äußer­en. Sie ist aufge­laden mit ein­er selt­samen Heftigkeit, in einem Klima höch­ster Sinn­lich­keit. Selbst in „Eine Sehn­sucht” (2003), einem sein­er zar­testen Bilder wird eine aufklärende Ursäch­lich­keit ver­mieden. Dieses als Dop­pel­b­ild­nis wahrnehm­bare Gemälde, in wel­chem sich der Künst­ler mit sein­er Frau Annett malte, ist alles andere als eine selb­stent­blößende Offen­bar­ung. Die als Leit­mot­iv fungi­er­ende Blume hält die Ges­amt­szen­er­ie wie ein Wieder­holungs­muster beis­am­men. Der viel­leicht alles klärende Keller­gang, aus wel­chem der Maler zu kom­men scheint, bleibt nur sparsam angedeutet.


…unter der ruhi­gen Ober­fläche eine eigentüm­liche Spannung


In „Fargo”I/II (2002÷2003) ver­meidet Kala­izis kon­sequent gar die ger­ing­ste Andeu­tung chaos­tiftender Ursache. In beiden Bildern gibt es kein Ind­iz, kein­en Ver­dacht. Und doch schwebt über ihnen eine Dro­hung. Irgen­det­was scheint sich außer­halb des Bildes abzus­pielen. Im Grunde ist es wie in einem anti­ken Theat­er­stück, wo die eigent­liche Aktion nie direkt auf der Bühne stattzufind­en scheint. So wird dem Betrachter die Per­spekt­ive eröffnet, fort­an seine eigene Geschichte im Bewusst­sein weit­erzuführen. Obwohl die Fig­uren in beiden Bildern nahezu identisch sind, die Hin­ter­grundszen­er­i­en fast deck­ungsgleich erschein­en, sind es den­noch eigen­ständige Bilder. Dies erklärt sich weni­ger durch ein schein­bar zufäl­liges Zusam­men­wür­feln der Prot­ag­on­isten, als durch eine Steiger­ung des Künst­lichen. War­um soll­te nicht wieder von neuem wer­den, was schon gewesen ist?


„ Fargo” I/II ist trotz schein­bar topo­graph­is­cher Wieder­holung eine Exped­i­tion in den Mög­lich­keit­s­raum neuer Sinnset­zung. In ihnen kann man sich nicht aus­ruhen, man ist ist wieder nicht angekom­men, man muss weit­er­suchen. Dah­er sind die grossen Bilder auch unerklär­lich, und gerade deshalb fordern sie immer wieder zur Deu­tung heraus. Das unter­scheidet die Schöp­fung vom bloßen Opus. Und, alles ist zugleich in diesem tri­umphalen Schaus­piel des Scheins : Zauber, Anmut und Süsse.

©2003 Peter Schlüter | Aris Kalaizis


Dr. Peter Schlüter arbeitet als fre­is­chaf­fend­er Joun­al­ist. Er lebt und arbeitet in Ber­lin und Amsterdam

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