Aris Kalaizis

Seine Figuren und Köpfe scheinen zu leben, andere dagegen sind nur gemalt

Jusepe de Ribera | Hl. Bartholomäus | Öl auf Leinwand | 126 x 97 cm | um 1612
Jusepe de Ribera | Hl. Bartholomäus | Öl auf Leinwand | 126 x 97 cm | um 1612

Prof. Dr. Michael Scholz-Hän­sel von der Uni­versität Leipzig bes­chreibt am Beis­piel barock­er Maler wie Rib­era und Velázquez bis hin zu zeit­genöss­is­chen Malern der Neuen Leipzi­ger Schule wie Neo Rauch und Aris Kala­izis, die Rolle des Handwerks in der Malerei

Aris Kalaizis | Mutter | Öl auf Holz | 100 x 80 cm | 1994
Aris Kalaizis | Mutter | Öl auf Holz | 100 x 80 cm | 1994

Mit den im Titel zit­ier­ten Worten ver­suchte Fran­cisco Pacheco (1564 – 1654) die Arbeit­s­weise Jusepe de Rib­er­as zu charak­ter­is­ier­en, den er in einem Zug mit Cara­vag­gio und Diego Velázquez in seinem Kun­sttrak­tat „Die Kunst der Malerei“ („Arte de la pin­tura“, 1649) behan­delte. Es gibt neuerd­ings Stim­men, die mein­en, in der span­is­chen Barock­malerei habe das Handwerk eine weit größere Rolle gespielt, als zulet­zt immer wieder behaup­tet. Die unfer­tig belassen­en Apostel El Gre­cos im ihm gewid­met­en Toledan­er Museum zei­gen ein­en Meister der Pin­selführung; kein­er ver­stand es wie Cara­vag­gio, ohne eine konkrete Lichtquelle fein­ste Nuan­cen von hell und dunkel zu gestal­ten; die Fleck­en­malerei des Diego Velázquez inspir­ierte nicht nur Fran­cisco de Goya, son­dern auch noch den Impres­sion­is­mus; und Jusepe de Rib­era soll sog­ar ganz ohne Text, nur mit seinem Maler­werkzeug, die Kun­st­the­or­ie eines wun­der­samen Nat­ur­al­is­mus geschaf­fen haben.


Was ist schlecht am Handwerk? Ist es nicht viel­mehr die Voraus­set­zung jeder guten Kunst? Mit der sogenan­nten „Leipzi­ger Schule“ kam es wieder ins Gespräch, und ein­er der derzeit pro­filier­testen Sozi­olo­gen, Richard Sen­nett, sieht in sein­er erneu­ten Wertschätzung die eigent­liche Utopie, denn „die Trennung von Kopf und Hand schadet let­zt­lich dem Kopf“. Getrieben vom Streben nach sozialem Auf­stieg und vor allem nach angemessen­er Bezahlung, entwick­el­ten die itali­en­is­chen Künst­ler der Frührenais­sance die Tech­nik der Per­spekt­ive und ver­sucht­en sich durch kun­st­the­or­et­ische Betrach­tun­gen auch als Wis­senschaftler ein­en Namen zu machen. Die Akademi­en bestätigten ihren Ans­pruch, und auch wenn die Avant­garde sie wieder abschaf­fen woll­te, so hiel­ten doch die Mod­ernen am Primat des intellektuel­len Künst­lers fest. Handwerk scheint heute weni­ger als je zuvor in unsere kop­fori­entierte Zeit zu passen.

Aris Kala­izis, wie auch Neo Rauch ein Meister­schüler von Arno Rink an der Leipzi­ger HGB, hat sich die span­is­chen Barock­maler zu einem Aus­gang­spunkt sein­er malerischen Expedi­tion­en gewählt. In sein­en Inter­views bek­en­nt er sich – wie auch Neo Rauch zu El Greco – offen zu den Vor­bildern wie El Greco, Rib­era und Velázquez, und es gibt sog­ar ein Bild von ihm „Feld­ver­such eins“ (2003), in dem er ein Werk Rib­er­as – „Die mystische Ver­lobung der Hl. Catalina“ (1648, Met­ro­pol­it­an Museum New York) – zitiert. 
Eines sein­er ersten Bilder zeigt ein­en schonungslosen Akt sein­er Mut­ter. Es ist bereits 1994 – also im zweiten Stud­i­en­jahr sein­er Leipzi­ger Akademiezeit – in der alt­meister­lichen Las­ur­tech­nik gemalt und atmet in sein­er schonungslosen Drauf­sicht vor grünem Grund den Geist der Spanier.

Aris Kala­izis und die Geduld der Langsamkeit


„Fa presto“ („Mach schnell!“) war der Spitz­name von Luca Giord­ano (1632 – 1705), doch die meisten Barock­künst­ler ließen sich Zeit bei der Erschaf­fung ihr­er Bilder. El Gre­cos bei den deutschen Expres­sion­isten so beliebte Bilder entstanden in vielen Arbeits­gän­gen und sind deshalb noch heute in weit besser­em Zus­tand als die der Avant­gard­isten, die sich 1912 auf ihn ber­iefen. Neue Forschun­gen zei­gen, dass Velázquez’ „Men­i­nas“ (um 1656) keine Momen­tauf­nahme darstellt, wie noch Carl Justi meinte, son­dern wahr­schein­lich mit ein­er gewichti­gen Konzeptän­der­ung über mehr­ere Jahre hin­weg entstanden – genau wie eines von Rib­er­as Hauptwerken, sein „Let­ztes Abendmahl“ (1651).
Noch die Gründergen­er­a­tion in der viel­leicht bedeu­tend­sten deutschen Künst­lerko­lonie Worpswede um 1900 ließ sich Zeit bei der Erstel­lung ihr­er für den Verkauf bestim­mten Bilder: Pro Jahr entstanden nicht mehr als zehn Gemälde, aber viele Zeich­nun­gen und Ölstudien.


Auch Kala­izis pflegt eine Prax­is der Lang­samkeit. Wie Picas­so fin­d­et er die Bilder und sucht sie nicht. Einem Buddhisten gleich, strebt er mit der Fer­tig­stel­lung jedes Werkes ein­en Zus­tand der Leere an, der erst die nötige Empfäng­lich­keit für das Neue schafft. Folg­lich gibt es in seinem Atelier auch keine weit­er­en Werke, die die Ima­gin­a­tion stören kön­nten. In der Regel wer­den die Bil­dräume vorab im Tableau Vivant nachges­tellt und mit Schaus­piel­ern unter Ein­satz ver­schieden­er Beleuch­tun­gen aus­gelotet. Auf der Grundlage von Fotos dieser Inszen­ier­ungen entstehen dann die Gemälde in klar struk­tur­ier­ten, handwerk­lichen Arbeits­gän­gen. Ein mod­ernes Ele­ment im Mal­prozess bil­det der Ein­satz unter­schied­lich­er Mal­tech­nik­en (z.B. lasi­er­end und pas­tos) inner­halb des­sel­ben Bildes.

Aris Kalaizis | make/believe | Öl auf Holz | 59 x 80 cm | 2009
Aris Kalaizis | make/believe | Öl auf Holz | 59 x 80 cm | 2009

Inhalt­liche Mehrdeut­igkeit als Programm


Eine Neuheit in der Barock­malerei stell­te die bewusste Kon­struk­tion von inhalt­lichen Ambi­gu­itäten (Mehrdeut­igkeiten) dar, die den mündi­gen Betrachter akt­ivierte und ihm immer neue Lese­weis­en erlaubte. Sie standen dem Ans­pruch der kath­ol­ischen Kirche nach dem Tri­dentin­um (1545 – 1563) dia­metral ent­ge­gen, für die Gläu­bi­gen mög­lichst klare Aus­sagen zu for­mu­lier­en, und führten zu nicht weni­gen Konflikten.


Ein Aus­weg war das im 16. Jahrhun­dert neu entstehende Sammler­bild, das es Malern wie Cara­vag­gio erlaubte, seine Werke nun gleich zweim­al zu verkaufen. Das zurück­gew­iesene Bild ging an den Sammler, und für den Auftragge­ber malte er noch ein neues, nun schein­bar im Eink­lang mit dem „dec­oro“ (der For­der­ung nach angemessen­er Darstellung).
Michael Triegel hat nach seinem umstritten­en „Porträt von Bene­dikt XVI.“ für ein­en zweiten Auftragge­ber eine neue (berein­igte) Ver­sion geschaf­fen. Kala­izis’ „make-believe“ (2009) war ein nicht mind­er­er Erfolg, und er hätte viele weit­ere malen können. Doch wie El Greco im Falle seines ber­üh­mten „Bild­nis des Großin­quis­it­ors“ (um 1600) mit schwar­zer Brille (übri­gens der mod­ern­sten sein­er Zeit), hat er sich bish­er ver­wei­gert, uns mit einem weit­er­en Bild bei der Deu­tung zu helfen.

Auch Kala­izis’ Engel im Pap­st­b­ild hat etwas ganz Reales. Er fliegt nicht, son­dern steht und zeigt in Ents­prechung zum Kirchen­ober­haupt eine rhet­or­ische Geste, die Ver­sprochenes ein­zuk­la­gen scheint. Statt Pathos und Zere­moni­ell wer­den hier und jet­zt Taten gefordert. Ganz im Eink­lang mit dieser Deu­tung steht die Licht­führung, die den Papst himml­isch (d.h. medi­al) erleuchtet und sein­en Wider­sach­er zu Unrecht im Dunkeln stehen lässt. Das hätte sich kein Maler des 17. Jahrhun­derts erlauben dürfen.


Im Span­nungs­feld von Neuem und Altem


In „make-believe“ kom­mt nun noch etwas Neues hin­zu, was die Bild-Erfind­ung von Kala­izis weit über die genan­nten barock­en Par­al­lelen hin­aus­führt und ein wei­t­eres Ele­ment sein­er Mod­ern­ität aus­macht. Das Gemälde erzählt in ambi­val­en­ten For­men eine offene Geschichte, und es erzählt sie in einem auch für den Blick des Betrachters offensicht­lich kon­stru­ier­ten Raum. Dafür gibt es kein Beis­piel in der Malerei des 17. Jahrhun­derts, aber doch Anknüp­fung­spunkte in den vis­ionären Fotoin­szen­ier­ungen der Nor­damerik­an­er Jeff Wall und Gregory Crewd­son. Inszen­ierte Foto­grafie entstand in den 1970er Jahren im Umfeld von Cindy Sher­man und Jeff Wall. Bei Crewd­son, den Kala­izis ken­nt, kamen später das Medi­um des Films und die sur­real­istische Beleuch­tung hin­zu. So lässt der Fotokünst­ler seine pan­or­amaarti­gen Bilder in Filmstu­di­os aufwendig bauen und legt dabei ein­en zen­t­ralen Fok­us auf die Lichtregie. 


Die amerik­an­is­che Kun­sthis­toriker­in Car­ol Strick­land hat zur Charak­ter­is­ier­ung dieser Art von Kunst den Begriff „Sot­toreal­is­mus“ ins Spiel geb­racht. Er bes­chreibt in etwa das, was Jusepe de Rib­era gemeint haben kön­nte, als er auf seinem Porträt der „Mag­dalena Ven­tura“ (1631) in knap­pen Worten seine eigene Kun­st­the­or­ie umriss. Auf einem gemal­ten Stein zu Seiten des Bild­n­isses lesen wir: „Jusepe de Rib­era, Span­i­er, aus­gezeich­net mit dem Kreuz Christi, ein neuer Apelles in sein­er Zeit, malte sie auf Wun­sch von Fernando II., dem drit­ten Herzog von Alcalá, dem Vizekönig von Neapel, in wun­derbar­er Weise nach dem Leben, am 14. März des Jahres 1631.“ In „wun­derbar­er Weise“ meint kein­en plat­ten Real­is­mus, aber doch das Gegen­teil der ideal­is­ier­ten Wel­ten eines Raf­fael oder Anni­bale Car­racci. Rib­era prak­t­iz­ierte schon eine Handwerkskunst, die viel Phant­as­ie („Wun­derbares“) ver­rät und sich doch an der Natur ori­entierte und die Prob­leme der Zeit zu ben­ennen wusste. In der­selben Rich­tung – nur eben noch etwas deut­lich­er und ohne den Schutz eines mächti­gen Auftragge­bers – agiert der wun­der­sam mod­erne Engel in „make-believe“.


Die Brück­en zu Foto­grafie und Film sow­ie die Bedeu­tung des Helldunkel in der Malerei von Kala­izis sind in den Tex­ten über ihn viel­fach ange­sprochen worden. In diesem Fall ist es nun wieder das Handwerk, was den Unter­schied zu Crewd­son mar­kiert. Dies zei­gen Bilder des Malers wie das „Blu­men­haus“ (2011). Auch bei Crewd­son gibt es die leicht bekleide­ten Frauen, die im kal­ten Mond­licht vom Wasser heimge­sucht wer­den (bei Kala­izis sieht man erst auf den zweiten Blick, dass die Frau im Wasser steht).
Der Künst­ler Rib­era kam aus ein­er Schuh­mach­er­fam­ilie in Valen­cia und musste sich in eine ihm frem­de, neapol­it­an­is­che Gesell­schaft integ­ri­er­en. Kala­izis ist das Kind griech­is­cher Exil­anten, die 1949 als Ergeb­nis des griech­is­chen Bür­gerkrieges in die DDR geschickt wur­den. Künst­lerische Wahrheit braucht Erfahrung, Paul-Henri Camp­bell zufolge ein zen­t­raler Begriff zum Ver­ständ­nis der Kunst von Kala­izis. Beide Künst­ler – Rib­era wie Kala­izis – schaf­fen die Integ­ra­tion und bez­iehen dabei Kraft aus ihr­em Handwerk und ihren Erfahrungen: Das Sein bestim­mt das Bewusstsein.
Richard Sen­nett plädiert dafür, dem Handwerk seine Würde zurück­zugeben und sich wieder auf die Welt der Dinge ein­zu­lassen. Wer Fer­tigkeiten einübt und eine Arbeit um ihr­er selbst wil­len gut macht, der hat auch Inhalt­lich etwas zu sagen. Tat­säch­lich wer­den Betrachter und Betrach­ter­in durch die Bild-Erfind­un­gen von Kala­izis bei Form und The­or­ie gefordert.


… ich lernte Aris Kala­izis kennen, weil er sich für El Greco interessiert und mir als erster von ein­er geplanten Aus­s­tel­lung des Künst­lers im Museum Kun­st­palast Düs­sel­dorf berichtete, für die ich später der Mitheraus­ge­ber der Kata­loges sein soll­te. Es war eine große Über­ras­chung für mich, bei ihm auch auf Rib­era zu stoßen, der mich gleich­er­maßen die let­zten Jahre beschäftigt hat. Natür­lich sind die span­is­chen Barock­künst­ler nicht die ein­zi­gen Wurzeln sein­er faszini­er­enden Kunst, aber sie bilden die feste Basis unser­er Fre­und­schaft und ein gutes Thema für ein­en gemein­sam gen­ossen­en Rioja – der noch nach Handwerk schmeckt!

Aris Kalaizis und Michael Scholz-Hänsel vor dem Bartholomäus-Gemälde (2014)
Aris Kalaizis und Michael Scholz-Hänsel vor dem Bartholomäus-Gemälde (2014)

Michael Scholz-Hän­sel, geb. 1955, ist Pro­fess­or für Kun­st­geschichte an der Uni­versität Leipzig mit Schwer­punkt bei der iberoamerik­an­is­chen Kunst. Neben Mono­grafi­en über El Greco und Jusepe de Rib­era pub­liz­ierte er "Inquis­i­tion und Kunst. 'Convivencia' in Zeiten der Intol­er­anz" (2009) und war Mitheraus­ge­ber von "Armut in der Kunst der Mod­erne" (2011) sow­ie "El Greco und die Mod­erne" (2012).


©2014 Michael Scholz-Hän­sel | Aris Kalaizis

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