Aris Kalaizis

Bin kein Vertreter der Leipziger Schule. – Ich bin meine Eigenvertretung !

Aris Kalaizis, Das Ritual
Aris Kalaizis, Das Ritual

Der deutsch-griech­is­che Maler Aris Kala­izis fin­d­et seine Inspir­a­tion­en in seinem Umfeld. Er schreibt ein Dre­hbuch, das ihm hil­ft, seine Ideen zu trans­formier­en. In Sachen Malerei ist für ihn Leipzig der beste Ort der Welt. Mit ihm sprach Silvia Rinofner.

Rinofn­er: Was ver­bind­en Sie mit Leipzig? 


Kala­izis: Im Grunde ist mein Leben durch diese Stadt geprägt worden. Man hat mich zwar nicht gefragt, ob ich in Leipzig zur Welt kom­men möchte, jedoch hat der Samen mit­tler­weile eine Wurzel gebil­det, der­en Stränge mich bis zum heut­i­gen Tag mit Ener­gie ver­sor­gen. Natür­lich war es nicht immer eine Lust, manch­mal war es auch eine Last in Leipzig zu leben, wenngleich ich sagen kann, dass ich nun in meinem Klein-Par­is, wie Goethe ein­mal sagte, angekom­men bin. Sie ist eine ver­gleich­s­weise undeutsche Stadt mit ein­er gewis­sen Inter­na­tion­al­ität. Sie ist nicht zu groß, nicht zu klein, sie ist weder eine Met­ro­pole noch ein Kleinod, was für das Malen nicht unwichtig ist. 


R: Zäh­len Sie sich selbst zur „Leipzi­ger Schule“?


K: Keine Frage, es gibt natür­lich ein­en gemein­samen Bezug zur mensch­lichen Fig­ur. Darüber hinaus bin ich mir aber nicht sich­er, ob das reicht, um eine tiefere Gemein­samkeit herzus­tel­len. Die Leute tra­gen im Winter im Allge­mein­en festes Schuh­werk, weil es sonst zu kalt wäre. Aber reicht dies, um eine tiefere Bez­iehung zwis­chen den Menschen herzus­tel­len? Ich plädiere da ganz für das Lob der Nuance. In meinem klein­en Maler­leben hab’ ich immer ver­sucht Erfahrungen zu machen, die weitaus selten­er in eine wirk­liche Entwicklung mün­dete. Ich woll­te stets Wege gehen, die ich vorher nicht kan­nte. Gele­gent­lich hab’ ich mich dabei veri­r­rt, zumeist dann, wenn ich die Gen­er­allinie oder den Hauptweg ver­lor. Mein Ziel war nie das Neue, son­dern viel­mehr das stets nuan­ciert Erneuerte. Also bedeutet es, auf’s neue ein Wag­nis ein­zuge­hen und ein Wag­nis ist immer ein Spiel, wo der Spiel­er nie vorab erfährt, wie die Sache aus­ge­ht. Wenn man nun als Maler dieses Wag­nis einge­ht, ist es doch eigent­lich selb­stver­ständ­lich, dass man am Ende nicht als Ver­treter ein­er Schule oder eines Labels angese­hen wer­den will. Nein, ich bin kein Ver­treter der „Leipzi­ger Schule“, ich bin meine Eigenvertretung.


R: Welche Rolle schreiben Sie Leipzig inner­halb der Kul­turszene Deutsch­lands, bzw. inter­na­tion­al zu?


K: Ich will Sie nicht enttäuschen, aber ich kann über die hiesige Kul­turszene im Allge­mein­en keine Aus­kun­ft geben, da ich zu wenig von Musik, Tanz – was auch immer – ver­stehe. Selbst über die Kun­st­szene im Allge­mein­en ver­mag ich nur wenig beizusteuern, da ich gleich­sam zu wenig von Video, Install­a­tion­skunst etc. ver­stehe. Das ein­zige, was ich kann und wovon ich ein wenig ver­stehe, ist das Malen im gigantischen Uni­ver­sum der Malerei und da kann ich sagen – soweit ich das überblick­en kann – ist Leipzig momentan der interess­an­teste Ort auf diesem Planeten. 


R: In einem Gespräch mit Max Loren­zen sagten Sie: „Alle Kunst strebt nach Schön­heit.“ Ist das auch das Ziel der heut­i­gen Malerei? Oder Ihr­er Malerei?


…ich muss nicht weit hin­aus­ge­hen, um fündig zu werden


K: Ich meinte das eher so, dass ein Künst­ler – im Rah­men sein­er ästhet­ischen Mög­lich­keiten – stets nach dem Höch­sten, also dem Schön­sten streben soll­te. Da ich Epi­kur­äer bin, glaube ich fest an die dialekt­ische Kor­res­pondenz des Gegensätz­lichen. Also: Tag und Nacht, Krieg und Frieden sow­ie Mann und Frau bilden viel­leicht auch ein Gan­zes. Wenn Sie – um ein Beis­piel aus der Musik zu neh­men – einem Album wie „The Dark Side of the Moon“ von Pink Floyd oder „Lat­er­alus“ von Tool lauschen, wer­den ihre Ohren unge­mein Außergewöhn­liches hören. Diese Musik erschöpft sich nicht in einem sim­plen Kon­strukt, in dem der Refrain das Zen­trum bil­det. Sie zeigt ihre Größe, in dem sie uns mitunter aggress­iv, manch­mal leise, zuwei­len düster und den­noch hoffnungs­voll erscheint. Stets wird in ihr das Eine ergän­zt durch das Andere. Und mit den Bildern ver­hält es sich ähn­lich. Die großen Zeugn­isse der Malereigeschichte haben ebenso etwas von dieser Kor­res­pondenz des Gegensätz­lichen. Sie können gewaltig und doch san­ft­mütig erschein­en. Das Alleinsch­öne ist doch immer Kitsch, ebenso wie das Allein­häss­liche! Dam­it ist im Wesent­lichen aus­gedrückt, dass Kunst eine seltene Sache ist, denn Kunst ist doch nie wie etwas anderes. Dah­er gibt es auch keine gute oder schlechte Kunst. Es gibt nur Kunst oder Nichtkunst! 


R: Won­ach wäh­len Sie Ihre The­men und Ihre Motive aus? 


K: Ich brauch’ da gar nicht weit gehen. Viele der Motive finde ich in mein­er unmit­tel­bar­en Umge­bung, da brauch’ ich nicht viel umheri­r­ren. Es ist aber eigent­lich nie so, dass ich ein Hin­ter­grundmotiv eins zu eins überneh­men kann. Also muss ich das foto­grafierte Außen­welt­mot­iv im Atelier berein­i­gen, muss es von Bal­last befreien. Das ist ein rein­er Abstrak­tions­vor­gang. Ja, weit hin­aus­ge­hen muss ich in der Tat nicht um fündig zu wer­den. Jede Bild­find­ung ber­uht aber im Grunde immer auf ein­er größer­en Empfind­samkeit gegenüber dem Selb­stver­ständ­lichen. Entscheidend ist doch nicht, dass einem etwas ein­fällt, entscheidend ist immer, dass einem etwas auffällt.


…es gibt keite schlechte Kunst. Es gibt nur Kunst und Nichtkunst


R: Bei der Umset­zung Ihr­er Ölgemälde arbeiten Sie nicht nach Zeich­nun­gen, son­dern ver­fassen, wie ein Dre­hbuchautor, ein Skript. Wie funk­tioniert das? 


K: Es ist recht sim­pel. Hab’ ich ein­en Hin­ter­grund für ein ver­meint­lich neues Bild gefun­den, fer­tige ich ein Foto von jenem Hin­ter­grund. Dieses Foto nagele ich mir dann über ‘s Bett und schau’ es mir zumeist vorm Sch­lafen gehen an. Woche für Woche. Das ist eine Art lang­wi­eri­ger Gärung­s­prozess, wie man es auch vom Wein­machen ken­nt. In diesem Prozess des Ans­tar­rens neh­men die Dinge in meinem Bewusst­sein all­mäh­lich Gestalt an. Am Ende kann ich zumeist während des Ans­tar­rens die Augen schließen, und ich sehe das kom­plette Bild, denn mit geschlossen­en Augen sehe ich ohne­hin vieles deutlicher.


R: Und wann kom­mt das Skript ins Spiel?


K: Danach, denn ich mache mir während der Bild­find­ung kein­er­lei Not­izen, da ich ohne­hin dav­on aus­gehe, dass man die wichti­gen Dinge – wenn sie gut sind – nicht ver­gisst. Natür­lich ist es ein wenig ungewöhn­lich, dass man nicht nach Zeich­nun­gen arbeitet. Mit dem Skript ist es eigent­lich auch keine so aufre­gende Sache, schon gar nicht sprach­lich, denn Lit­er­at­ur sieht anders aus. Es ist eher eine Anlei­tungss­prache wie man sie vom Staub­sauger oder der Brot­maschine ken­nt. Dar­in bes­chreib ich die Bildkom­pos­i­tion, die Licht­dram­at­ur­gie, die Körper­hal­tun­gen mein­er Fig­uren, die Kleidung usw. Ich tue dies, weil Schrift­s­prache für mich zun­ächst ein weit­er­er, ein ander­er Annäher­ung­s­prozess an mein Gemälde ist. Das Bild ist ja bis­lang nur in meinem Kopf, in mein­er Innen­welt und nun gelangt es durch mein Skript in die Außen­welt. Es ist eine Trans­form­a­tion. Wenn ich dann zu einem später­en Zeit­punkt mit den Fig­uren arbeite, kann ich im Übri­gen durch das Lesen, die Dinge ein­fach­er abrufen und umset­zen. Es ver­ein­facht vieles.


R: Gibt es zu jedem Gemälde eine Geschichte?


K: Ich arbeite im Grunde nie mit ein­er Geschichte im Sinne ein­er them­at­ischen Vor­gabe, nie an der Aus­gestal­tung, ein­er Illus­tra­tion eines Gedankens. Ich geb’ mir auch immer große Mühe, mindes­tens ein­en dop­pel­ten Entwurf zu liefern, weil eben jene Müh­sal zugleich meine Freude ist. Ich ver­trage zudem eindeut­ige Lesarten bei ander­en nicht und am wenig­sten bei mir. Das größte Vergnü­gen bereit­en doch Büch­er und Filme die Ambi­val­ent sind, die eine Geschichte hinter der Geschichte liefern.


R: Eine aufge­sprühte Graf­fiti-Blume fin­d­et sich immer wieder in Ihren Werken, zum Beis­piel in „Das Ritu­al“. Wofür steht diese Blume, was verkörpert sie?


K: Nun, die ein­en sehen dar­in eine Blume, die ander­en sehen dar­in ein­en Schmet­ter­ling. Als ich das Ding vor ca. 5 Jahren zum ersten Mal malte, war es für mich ein­en for­m­ale Mög­lich­keit, die malerische Bildebene durch ein grafisches Ele­ment zu unter­brechen. Ich bin ein­fach nicht dav­on los­gekom­men, weil ich den­ke, dass meine Bilder dieser Koex­istenz bedürfen.


R: In Ihren Bildern zei­gen Sie sehr oft Gegensätze oder Schat­tenab­bilder: War­um ist das so?


K: Weil ich nicht anders kann, da all’ meine Bilder ja let­zt­lich Produkte meines Naturells sind. Ich kann gar nicht anders, als zwis­chen den Polar­itäten zu agier­en. Das ist mein zuhause. Insofern ist es nicht so sehr mein Verdienst oder meine Schuld, dass jeder bild­nerische Entwurf ein­en Gegen­ent­wurf für sich beansprucht. 


R: Gibt es etwas wie „beste Voraus­set­zun­gen“ um die Kunst des Malens zu beherrschen? Sind diese Eigenschaften erlernbar?


K: Wenn Sie sagen, „Die Kunst des Malens“ unter­stel­len Sie etwas wohl­wollend, dass jede Malerei Kunst sei. Ich finde es angenehmer wenn Malerei als Malerei, Foto­grafie als Foto­grafie wahr­gen­om­men wird und let­zt­lich Kunst als Kunst. Der eingangs erwäh­nte Goethe hat auch nicht nur großartiges ges­chrieben. Keine Frage, auch Malerei kann zur Kunst wer­den, nur ist das eben keine Selbstverständlichkeit. 
Und das Malen lässt sich natür­lich erlernen, schließ­lich grün­det jede Malerei auf Handwerk. So etwas erlernt man nicht in den Akademi­en, wo es mehr auf den intellektuel­len Aus­tausch ankom­mt. Malerei aber kann ein jeder betreiben, für sich, für andere und – von mir aus – für die Nachwelt. Und jeden wird die Malerei zun­ächst in ihren Schoß aufneh­men, der gewillt ist, sich ihr in bes­cheiden­er Stille – die nicht sel­ten ein­sam ist – anzun­ähern. Und wenn man dabei bleibt und auch ein bis­schen hart zu sich ist, hat man später sog­ar die Aus­sicht auf eine wun­derbare Liebesbeziehung.


(Quelle: Ger­man­wings­mag 272009)


©2009 Silvia Rinofn­er | Aris Kalaizis

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