Ich habe nichts zu sagen - Vielleicht male ich deswegen
Das Stadtmagazin KREUZER hat aufgrund zweier zeitgleich in Leipzig und Berlin stattfindender Ausstellungen, den Leipziger Maler Aris Kalaizis u.a. nach den Börsenwerten zeitgenössischer Leinwände gefragt
kreuzer: Die bildende Kunst hat immer schon die scheinbaren Gewissheiten der Wahrnehmung aufgebohrt. Bietet in der momentanen, nervösen Krisenatmosphäre und der Erosion stabil wahrgenommener Umwelten der Künstler/die Kunst eine Möglichkeit, "Verwirrung" als Element der Normalität positiv in politische und gesellschaftliche Diskussionen einzuführen?
K: Wie wir gerade aus der jüngeren Geschichte des 20.Jahrhunderts wissen, hat Kunst oft einen kompensatorischen Charakter bewiesen und dadurch nicht selten den Weg in das Andere, das Neue geebnet. Im Grunde aber ist die Kunst doch immer eine Art Chiffrenschrift des gesellschaftlichen Lebens gewesen, ganz gleich, ob man sich als Künstler der Problematik gesellschaftlichen Daseins annimmt oder verweigert.
kreuzer: Keine Politisierung der Ästhetik – d´accord. Ich möchte dennoch fragen, ob jenseits scheinrelevanter Nachrichten vom Börsenwert der Leinwände und Objekte, nicht Kunst und mit ihr der Künstler sich viel mehr einmischen müsste in die Ausgestaltung einer zivilen Gesellschaft.
K: Du wirfst die Frage nach der Diskrepanz zwischen Ethik und Ästhetik auf, die sich aber so nicht stellt, da ich glaube, dass in jedem Gedicht und in jedem Gemälde auch ein bisschen von der Moral steckt. Ich würde im Gegenteil ohnehin behaupten, dass wir im Kunstbetrieb eine Überrepräsentanz des Ethischen erleben. Man schaue sich nur die wichtigsten Grossausstellungen an. Aber auch immer mehr öffentliche Ausstellungshäuser sehen sich diesem Ansatz verpflichtet. Mir ist das alles viel zu rationalistisch, viel zu wissenschaftlich. Kunst hat doch nichts mit Wissen zu tun und Wissen primär nichts mit Kunst. Auch glaube ich, dass der Gestus der Avantgarde – sich gleichzumachen mit der Wirklichkeit – verbraucht ist. Oft sehe ich in den Ausstellungen keine Unterscheidungen zwischen Journalismus und Kunst.
kreuzer: Der Kulturwissenschaftler Peter Sloterdijk hat vor Jahren einmal behauptet: "Das Kunstwerk der Moderne ist ein Zeugnis dafür, dass menschliche Beiträge zum Glück möglich sind." Allerdings nach seiner Meinung nur, wenn sie sich dem kommerziellen Kunstbetrieb äußerlich hält, sonst "faltet sie ein".
K: Dem würde ich nur bedingt zustimmen, weil ich zunächst zwischen Kunstwerk und Künstler unterscheiden würde. Ein Kunstwerk kann sich nicht dagegen wehren, vom kommerziellen Kunstbetrieb aufgenommen zu werden. Ein Künstler allerdings kann sich sehr wohl zu seiner Marktnachfrage positionieren. Er kann natürlich – wie es oft geschieht – recht unreflektiert im Hinblick auf das eigene Werk, diesen Markt mit weiteren Bildern füttern. Ich habe für mich beschlossen, weniger Bilder – die umso aufwendiger hergestellt werden – zu produzieren. Ich verknappe, um in der Mehrzeit meine Bilder auf ein qualitativ höheres Level zu hieven. Auf’s Ganze betrachtet hat es sich immer gelohnt, innezuhalten.
kreuzer: In Deinen Werken ist die Darstellung unentscheidbarer, irritierender und meist untergründig bedrohlich verstrickter Beziehungen von Menschen zu Menschen zu Umgebungen von zentraler Bedeutung. Woran leidest Du? Spielst Du mit der Angst des Betrachters vor dem Abgrund? Oder »müsste heute«, um es mit Francis Bacon zu sagen, »ein wirklich guter Künstler aus der … Situation ein Spiel machen«?
K: Ich bin Epikuräer. Ich bin kein Christ. Infolgedessen könnt’ ich alleine aus dem Leid keine Kraft beziehen. Ich muss stets ergriffen sein vom jeweiligen Sujet, sonst läuft nichts. Und das erreich’ ich nur durch eine Ergriffenheit, die zur Freude bei der Umsetzung führt. Dabei ist es ganz gleich, ob ich etwas Heiteres oder etwas Tragisches darstelle. Als mein Vater starb, glaubte ich auch, mein Leid durch Malerei bewältigen zu müssen. In der Folge entstand jedoch nichts, kein Blatt, kein Gemälde. Heute weiß ich, dass man solche Situationen zunächst für sich aushalten muss, bevor sie zur Form gelangen können. Wer leidet, macht doch außerdem andere leidend.
kreuzer: Du betonst häufig, dass für dich formale Fragen wie Licht, Farbwirkung, Komposition etc. im Vordergrund stehen und erst in zweiter Linie die figurativen Konstellationen in Deinen Bildern. Kann man das so trennen?
K: Nun, die Figuren sind ja auch Teil der Komposition aber im Grunde stimmt es schon, dass für mich die einzelnen Fragen des formalen Bildaufbaus dringlicher sind, wenngleich ich zugestehe, dass meine Bilder über die Jahre doch Erzählerischer geworden sind. Als Basis, als Grund blieb mir jedoch immer die Strenge des Bildhintergrundes, der für mich mehr als bloße Kulisse ist, da er im weiteren Verlauf des Malens Zwischenräume eröffnet. Oft variiere ich in diesen Zwischenräumen malerisch. Ziel ist die Konstruktion eines erfundenen Mikrokosmos, den es so in unserer Welt nicht gibt, der aber den Anschein erweckt, als gäbe es ihn wirklich.
Bildthemen haben für mich nie die eine große Rolle gespielt. Ich hab’ keinen Stoff der mich umtreibt und der schon gar nicht den Gelehrten befriedigen könnte. Also gilt es zu bestehen, dies kann aber das Vielfältigste hervorrufen. Auch habe ich nichts zu sagen, vielleicht male ich deswegen.
kreuzer: Bei vielen Gelegenheiten erfreut sich Leipzig am Selbstbild einer kunstbefördernden, kultur- und kunstsinnigen Stadt mit einer besonderen Ausstrahlung. Die sogenannte Leipziger Schule erfreut sich vieler Freunde. Kannst Du das aus Deiner Sicht bestätigen?
K: Leipzig ist weder eine Metropole, noch eine typisch deutsche Kleinstadt. Sie ist nicht zu klein und nicht zu groß – was für meine Art des Bildermalens nicht unwichtig ist. Sie ist – zum Glück – eine unfertige Stadt, in der das Morbide neben dem Neuen noch koexistiert, mit einer guten überschaubaren Kulturszene, einem großartigen Museumsbau – allerdings von einem mittelmäßigen Museumsdirektor betrieben. Dieser Mann ist eine glatte Fehlbesetzung! Man baut doch kein Museum für mehr als 60 Mio, um vorrangig Ausstellungen aus zweiter und dritter Hand zu übernehmen.
kreuzer: Haben sich seit dem eingangs erwähnten „Hype“ die Bedingungen für künstlerisches Schaffen stark verändert?
K: Als ich in Leipzig 1992 mein Malereistudium anfing, interessierte sich kein Mensch für Malerei. Auch habe ich während der gesamten Studienzeit kein einziges Bild verkaufen können. Trotz allem war der Entschluss zur Unzeit zu studieren absolut richtig, denn die finanziellen Umstände zwangen mich noch mehr, mein Projekt voranzutreiben und erst das machte mich robust. Heute weht an der HGB ein anderer Wind. Eine studentische Mehrheit wird mit einer deutlicheren Verheißung auf Erfolg angezogen. Zu den Rundgängen wird da und dort gelegentlich über den Preis verhandelt und and den Wänden befindet sich nicht selten ein Preisschild, was ich unerträglich finde. Natürlich braucht ein Student der Malerei auch Geld zum Leben.
Das Problem ist nur: Wenn das Geld vor dem eigentlichen malerischen Entwurf kommt, sehen sich auf dem Weg befindliche Studenten weniger genötigt, sich und ihre Arbeit zu hinterfragen. Dass wir uns nicht falsch verstehen: Ich glaube nicht an den Bildungswert von Armut, ich glaube nur daran, dass ein Jungmaler auch eine demutsreiche Zeit erfahren haben muss, denn eine Niederlage kann einen eher auf den Weg bringen, als der Erfolg, der oft leichtsinnig macht. Wenn man später reift und auch ein bisschen Glück hat, dann bekommt man alles wieder zurück. Und was gibt es denn schöneres für ein Menschenleben, als so einer Tätigkeit nachzugehen …
©2009 Stephan Schwardmann | Aris Kalaizis (Quelle: Magazin KREUZER 04/2009)