Mein Hauptantrieb ist meine Ungeduld
Gespräch zwischen dem Philosophen Max Lorenzen und Aris Kalaizis über das Arbeiten im Ausland, Einsamkeit, das Schöne sowie über das Zusammenspannen von Gegensätzen
Lorenzen: Herr Kalaizis, Sie gelten als assoziierter Künstler der Neuen Leipziger Schule. Vor drei Jahren, vom 18. März bis zum 5. Mai 2005, fand in der Marburger Kunsthalle eine große Ausstellung Ihrer Arbeiten unter dem Titel Ungewisse Jagden statt. 2006 folgte in der maerzgalerie Leipzig Rubbacord mit Bildern, die 2005 in den USA, im Zuge eines Arbeitsstipendiums entstanden oder jedenfalls dort konzipiert wurden und daraufhin auch in New York zu sehen sein werden. Und auch 2007 konnten Sie ein weiteres Auslandsstipendium in New York wahrnehmen. Unterhalten wir uns aber zunächst besonders über die 2006 entstandenen Bilder wie Am Morgen danach (2006) oder Am Ende der Ungeduld (2006). Meiner Ansicht nach stellen diese Arbeiten, die wieder, nach dem USA-Aufenthalt, in Leipzig gemalt wurden, auch formal zugleich eine Ausweitung und Komprimierung dessen vor, was Sie thematisieren. War 2006 für Sie ein entscheidendes Jahr?
…man begreift sein Leben in der Ferne besser
Kalaizis: Soweit würde ich nicht gehen. Auf jeden Fall war mein erster USA-Aufenthalt ein erfahrungsreicher Zeitraum. Sie müssen bedenken, dass ich ohnehin ein recht sesshafter Mensch bin und die Gedanken auf die damals bevorstehende Reise, bereiteten mir ohnehin mehr Kopfzerbrechen, als Freude. Das hat zum einen damit zu tun, dass ich nur ungern fern der Familie, fern der Freunde sein möchte. Auf der anderen Seite denk’ ich immer noch für mich, wo so viel zu tun ist für dich, wo das Feld noch nicht bestellt ist, da kannst du dich unmöglich davonstehlen, denn die Probleme die nimmt man doch mit auf einer Reise, ob man nun will oder nicht.
Aber, vor allem, war ich vielleicht während meines Stipendiums in den USA überhaupt das erste Mal alleine im Leben und das war für mich keine Kleinigkeit. Wenn man, so wie ich, über viele Jahre in einer festen Partnerschaft lebt, dann teilt sich doch vieles bei der Alltagsbewältigung. Das ist oft erleichternd, manchmal erschwerend. Die Deutlichkeit der neuen Grenzerfahrung zeigte sich jedoch erst nach meiner Ankunft in der Ferne. Man begreift sein Leben in der Ferne besser.
L: Könnten Sie wichtige visuell-emotionale Eindrücke Ihres Amerika-Aufenthalts schildern – Sie waren in New York, und wo noch?
K: Hauptsächlich war ich in Columbus/Ohio. Ich erhielt zunächst 2005 ein erstes Auslandsstipendium des Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst und war auch darauf vorbereitet, in der Fremde zu arbeiten – so dachte ich jedenfalls. Als ich dann aber in der Fremde saß, dachte ich, hier kannst du unmöglich arbeiten. Auch hatte ich, wenn ich das sagen darf, anfänglich Heimweh, das sich jedoch, als ich anfing zu arbeiten, zusehens verflüchtigte. Und die Bildideen, die mir bereits in Leipzig durch den Kopf schwirrten, wollte ich auf keinen Fall in Columbus umsetzen. Ich dachte mir damals, so wie ich mir heute oft sage: Du musst auf ’s Ganze gehen, sonst verkommst du.
’Auf’s Ganze gehen’, dass hieß und heißt für mich, lass’ dich ein auf das Wagnis, lass’ dich ein auf das Andere, tauch’ ein in die Formenwelt der neuen Umgebung. Und so fuhr ich am Anfang meines Aufenthaltes mit meinem kleinen Fahrrad durch die amerikanische Landschaft, war mehrere Tage mit den Beinen und vor allem mit meinen Augen unterwegs und war währenddessen sowie kurz danach, glaube ich, ziemlich frustriert, weil ich dachte, keinen Einstieg in den Ort, in die Umgebung finden zu können. Aber es war glücklicherweise nur ein Trugschluss, denn offenbar muss ich in jenen Anfangstagen sehr konzentriert unterwegs gewesen sein, denn all’ die in Amerika gemalten Bilder rekrutierten sich lediglich aus den intensiven Beobachtungen der ersten Tage.
Dabei fiel mir auf und kam mir natürlich zugute, dass die amerikanische Stadtarchitektur wesentlich mehr runde Formen aufzeigte, die in ihrem Wechselspiel mit strengen, geradlinigen Formen, mehr durchdacht scheint, als die Europäische, die mir zunehmend spitz erscheint. Auf jeden Fall aber, müssen die Erfahrungen so tief, so konzentriert gewesen sein, dass nach dem ersten kleinen Ölbildchen, rasch weitere folgten, die sich, wie gesagt, aus der Erinnerung der Anfangstage speisten.
L: Ihre, wenn ich so sagen darf, amerikanischen Bilder stehen in einer relativ kontinuierlichen Linie mit den vorhergehenden. Danach jedoch scheint sich etwas zu ändern. Was?
K: …Ja, das will ich doch hoffen. Ein Änderungsbestreben oder besser noch der Verbesserungswille ist mir fast heilig. Ich gehe ja ohnehin davon aus, dass wir Existenzen zunächst nur als ein Entwurf zu einem Menschen in die Welt geworfen werden und in der Folge des Lebens erst noch beweisen müssen, ob wir diesem Menschsein gerecht werden. Das heißt, dass wir Erfahrungen machen müssen, um die Masse an Dummheit allmählich zu verschwenden. Ich tue das z.B. in dem ich Bilder male. Jedes Bild ist also insofern eine weitere Dummheit. Eine Dummheit sollte man jedoch nicht ein zweites Mal begehen und insofern sollte das Bildermalen, oder was auch immer, ein Verausgabungsprozess von verschiedenen Dummheiten sein. Denn im Grunde sind wir ja nicht reich an Klugheit, sondern reich an Dummheit. Ich male Bilder in der Hoffnung, eines Tages so arm an Dummheit zu sein, dass es kaum für den Eigenbedarf reicht und ich womöglich am Ende meiner Vorstellung von einem idealen Bild ein wenig näher gekommen bin.
…unheimlichen Schönheit
L: Ihr Kompositionsprinzip ist mittlerweile bekannt: Sie arbeiten nach Fotos von Räumen oder Orten (wie etwa dem verlassenen Fabrikgelände in der Umgebung von Leipzig, s. Die große Hoffnung), in die Sie Figuren hineinkomponieren – die eigentlich das visualisieren, was der Raum gleichsam für sich schon enthält. Ich zitiere: ‚Auf jeden Fall muss dieser Hintergrund, den ich im Bild ‚Die große Hoffnung’ weiterverarbeitete, ein Initial ausgelöst haben’ (Gespräch mit dem Soziologen Jan Siegt, 2003, wiederabgedruckt in ‚Rubbacord’). Und diese Initialzündung macht nun etwas Rätselhaftes sichtbar, das Sie wiederum ‚Inbild’ nennen: ‚wo man merkt, jetzt rastet alles ein, und ein Moment himmlischer Ruhe tritt ein’ (Gespräch mit Jan Siegt, Katalog: ‚Von unvoreiligen Versöhnungen’, 1997). Das ist also der Moment der Inspiration. Er gibt den ‚Figuren ihr Heim’ (Gespräch, 2003). Dieses Heim ist offenbar das Gegenteil von dem, was man gewöhnlich ein Zuhause nennt –
K: Ja, es ist ein Heim, wie Carol Strickland jüngst schrieb, das mit einer unheimlichen Schönheit ausgestattet ist. Wenn sie aber sagen, ich arbeite mit Fotos, so ist dies absolut zulässig. Ich sage ihnen das, weil ich mich oft ärgere, wenn man einerseits registriert, dass ich mit Fotos arbeite, andererseits man mich sogleich in die Ecke der Fotorealisten zu stecken versucht. Ich misstraue dem einzelnen Foto zutiefst. Ich habe kein einziges Bild gemalt, das sich nur eines einzigen Fotos bedient. Der Fotorealist tut dies. Sicher kann ein Foto dem, was wir gemeinhin als Wirklichkeit bezeichnen, sehr nahe stehen, aber das ist es nicht, was mich interessiert. Ich würde im Gegenteil behaupten, dass mein Arbeiten eine Suche ist, ein ewiges durchmäandern durch das, was in mir noch nicht gedacht oder besetzt wurde.
…misstraue dem einzelnen Foto zutiefst
Sehen Sie, es gibt in fast all meinen Bildern eben jene fragwürdigen Stellen des Übergangs. Fragwürdig insofern sie scheinbar nicht die gemalte Zentralform unterstützen oder ergänzen, sondern vielmehr davon wegführen. Da könnte man meinen, dies sei auch eine Art des so üblichen postmodernen Beliebigkeitsspielchens. Dabei können sie mir glauben, dass mich dieser Prozess grüblerischer Bildfindung nächtelang quält, solange quält, bis die einzig wahre Lösung am Horizont erscheint. Als Resultat dieser Suche kann dann natürlich auch eine scheinbar belanglose Nichtigkeit hervorgebracht werden, aber selbst diese hat ihre Berechtigung, nein, sogar ihre Notwendigkeit, wenn sie neben einem Bildmoment von zentraler Bedeutung steht. Zur Bedeutung gelangt nur etwas, das sich unterscheidet. Und mit diesen Unterscheidungen sollte man haushalten. Aber es ist das Schwierigste!
Vielleicht sollte ich aber besser vom rechten Maß sprechen, welches dringlicher denn je ist, in der Malerei, im Film, wie überhaupt auch im Alltag. Ein Familienvater, der sich seinem Kind gegenüber nur durch Strenge hervortut, ist genauso zu verurteilen, wie ein Vater mit stets nachgiebiger Milde. Die Realität, um auf Ihre Frage zurückzukommen, oder das, was mir als Realität erscheint, ist nicht das, was mich interessiert, denn von ihr werde ich so oder so geprägt – ob ich will oder nicht.
Die Malerei bietet mir doch die wunderbare Möglichkeit einer weiterführenden Umgestaltung. So, wie ich ohnehin nur eine Kunst akzeptieren kann, die mir Entwürfe einer anderen Welt offerieren. Oft werd’ ich dabei natürlich enttäuscht, gerade beim Schlendern durch Ausstellungen etwa, wo einem oft ein Kontext mit allerlei Wissen und Wissenschaft suggeriert werden soll. Ich find’ das zum kotzen, weil ich merke, alleine mit deinem einzigen Kapital, deinen Augen kommst du nicht weit. Dann fühl’ ich mich meist schlecht, weil ich merke, wie doof ich eigentlich bin. Auch hab’ ich nichts zu sagen – vielleicht male ich deswegen
L: Der Raum, der Sie inspiriert, enthält stets etwas Doppelbödiges? – Man schaue sich etwa ‚Die Nacht an jedem Tag’ an: Düstere Wolken ziehen von links auf, und die in zwei Wesen aufgespaltene Frau inkarniert beide Bereiche.
K: Das ist vielleicht eine Wesenheit meiner selbst, wenn sie so wollen. Ich pilgere ja in der Vorbereitung zu einem neuen Bild oft zwischen den unterschiedlichsten Möglichkeiten hin und her. Am Anfang steht natürlich immer die Anschauung, die selten genügt. Daraus ergibt sich dann so etwas wie ein reflexives Denken, das sich oft aus einer in mir verankerten möglichen Unzufriedenheit herleitet, die mich treibt, die aber wiederum nicht genügt, um alleine zu existieren, somit in etwas Drittes geführt werden muss, das aus sich bestehen kann und eben die malerische Bildebene ist.
L: Ganz offensichtlich resultiert die innere Spannung Ihrer Bilder aus dem Sichtbarwerden von etwas Unsichtbarem, eben dem Rätselhaften oder Gespaltenen unseres Daseins. Über solche Rätsel kann, ja muss man sprechen – sie sind dann echt, wenn sie sich im Gespräch nicht, wie Kreuzworträtsel, auflösen, sondern intensivieren. Haben Sie bei der Konzeption und der Arbeit an Ihren Bildern das Gefühl, eine Zone der Gefahr zu betreten?
… es gibt keine Hermetik – weder in meinen Bildern, noch in meinem Leben
K: Ich habe nichts dagegen, es ist mir sogar sympathisch, wenn das Betrachten eine gewisse Arbeit, eine Mühe verursacht, die meinetwegen in eine Gefahr münden kann. Meine Gefahrenzone beim Erarbeiten eines neuen Bildes aber ist mein Zweifeln. Diesem Zweifel, meinem ständigen opponieren in mir hab’ ich es zu verdanken oder zu verschulden, dass meine Bilder auch gleichsam mindestens doppelte Entwürfe sind, da sie in mir ständig zur Anarchie aufrufen, indem sie eine Hermetik propagieren, die es im Grunde nicht gibt – weder in meinen Bildern, noch allgemein in meinem Leben. Diese Bilder sind ernsthaft, sind komisch, oft aber in einem Sinne irritierend. Sie fordern an sich nichts Besonderes, aber wer sie verstehen will, muss bereit sein, sich einem Bedeutungspendel auszuliefern wie auf einer Schaukel, die nur der genießen kann, der sich der Bewegung hergibt. Allen anderen wird übel.
L: Mit anderen Worten, ohne dass man sich dieser Gefahr aussetzt, ohne Grenzüberschreitung gelangt man gar nicht in den Bereich wirklicher Malerei, sondern könnte höchstens die Oberfläche dessen, was wir Realität nennen, abpinseln?
K: Ist nicht jede Malerei wirklich? Und wenn dem so ist, so stellt sich die Frage: Was macht jenes Bild zur Kunst und warum verharrt ein anderes in ewiger Bedeutungslosigkeit? Aber, sie haben, glaub’ ich, ganz recht. Ein Wagnis oder einen Gefahrenraum zu betreten, wie sie sagen würden, der entsteht doch für einen Maler nur dann, wenn er das malerisch bisher Erreichte nicht wiederholt, sondern eben mit auf ’s Spiel setzt, indem er auf ’s Ganze geht – selbst wenn dies zu einem Scheitern führen sollte! Womit wir wieder beim ‚Risiko’ und den zu begehenden ‚Dummheiten’ wären.
Zwar hab’ ich eine Vorstellung von gemalten Bildern, wie sie in drei oder vier Jahren aussehen könnten. Das ist aber mehr eine ungefähre Vorstellung, als dass ich sie ihnen näher erläutern könnte. Es ist mehr eine Mutmaßung als eine Gewissheit. Eine Mutmaßung von etwas, das nicht ist, aber sein könnte, umtreibt mich von jeher. Mein Haupttrieb ist meine Unruhe. Auch verfolge ich kein Ziel. Infolgedessen habe ich mit meinen vierzig Jahren noch immer das Gefühl am Anfang einer Entwicklung zu stehen
L: Nun zu Ihren letzten Arbeiten. Beginnen wir mit derjenigen, die mich regelrecht erschreckt. ‚Am Morgen danach’ (2006) – der Titel evoziert unweigerlich ‚Am Tag danach’ (1885) von Edvard Munch – zeigt ein junges Mädchen, nur mit Unterwäsche bekleidet, das Hilfe sucht, aber nicht findet, bei einer Frau, die vielleicht seine Mutter ist; rechts von ihr, weiter vorn, kniet ein Mann, der seine Hände betrachtet, dessen Gesichtsausdruck etwas Diabolisches hat. Der Betrachter ist regelrecht gezwungen, an ein Inzest-Geschehen zu denken – oder etwa nicht?
…haben uns bewusst für ein sorgenvolleres Leben entschieden
K: Offenbar habe ich bei diesem Bild, trotz ihres Erschreckens, einiges falsch gemacht. Wenn der Betrachter gezwungen ist, in nur eine einzige Richtung zu denken, dann gilt dies umso mehr. Ja, der Mann kniet auf dem Boden und betrachtet seine Hände. Ich glaube, er hat nichts Diabolisches. Ich habe mir beim Malen jedenfalls Mühe gegeben, seine Gesichtszüge nicht zu stigmatisieren. Die scheinbare Eintracht der Mutter-Kindbeziehung auf der linken Seite schreit förmlich nach einem projizierten Gegenentwurf, einer Polarisation, die in eben jenem Mann gründet. Es liegt aber vermutlich an der Mutter-Kind Konstellation, dass wir in jenem Mann etwas Diabolisches sehen können, weil wir es im Grunde sind, die dies in ihm sehen wollen.
Und, ich gestehe ein, dass dieser Verdacht durch die vollzogene Lichtdramaturgie erhärtet werden kann. Aber das harte Licht, trifft jenen Mann nicht von links, sondern von rechts kommend und als Lichtquelle malte ich eben jenen monströsen Kühlschrank. Aber, warum ist dieser verfluchte Kühlschrank da, in den man merkwürdigerweise nicht hineinschauen kann und der zudem so etwas wie eine Erleuchtung zu bringen scheint? Ein Kind sucht Schutz, ein Mann gerät unter Verdacht und die Frau strahlt beinahe noch weniger Energie aus, als der Kühlschrank und einem überhaupt lieb sein kann. Mit anderen Worten: Dieser Kühlschrank ist wichtig und ohne jenes Monstrum hätte ich dieses Bild wahrscheinlich nicht gemalt! Natürlich hätte man den Kühlschrank, den man auch als Giftschrank bezeichnen könnte, weiter öffnen können. Aber das wollt’ ich nicht, da ich beinahe ein ängstliches Grundmisstrauen gegenüber einer all’ zu großen Zudringlichkeit habe, die ich natürlich in anderen Bildern nicht vertrage, am wenigsten jedoch in meinen eigenen vertrage. Deswegen gibt es in meinen Bildern auch kein Blut, geschweige einen Toten, weil mir ein suggerierendes Rauschen, ein schwebendes Andeuten lieber ist.
L: Ein anderes Bild: ‚Am Ende der Ungeduld’ (2006): Ein junges, nur mit einem Slip bekleidetes Mädchen liegt auf einem zerwühlten Bett; der Betrachter assoziiert, angeleitet durch den Titel der Arbeit, einen ersten sexuellen Kontakt – rechts steht dasselbe Mädchen, abgespalten von seinem Gegenbild, beinahe wie die Seele seines Körpers, die nachgrübelt über das, was ihr widerfahren ist: Inbegriff des Melancholischen und vielleicht Verletzten. Das Doppelgängermotiv vertieft gerade die Einsamkeit der Szene. Ganz direkt gefragt: Glauben Sie, dass unsere Sehnsucht nach Gemeinschaft nur unsere Einsamkeit intensiviert?
…Das Atelier ist mein Rückzug, mein Reservoir, meine Privatkirche, wenn Sie so wollen, da mir sonst alles zuviel würde und das Leben mich erschlagen könnte
K: Das ist, glaube ich, eine feine Beobachtung, dass das Doppelgängermotiv unsere Einsamkeit verdeutlichen kann. Mich verfolgt ja, wie sie wissen, die Doppelgängerschaft schon geraume Zeit-Ich würde denken, seit nun schon zehn Jahren. Es taucht oft auf und in dem recht kleinen Bild „Am Ende der Ungeduld“ ist es fast auf die Spitze getrieben worden, da sich in ihm beinahe alles zu doppeln scheint. Und trotzdem ist, so glaube ich, ein heterogenes Bild herausgekommen.
Aber zurück zu ihrer Frage: Ich bin nicht sicher, ob ich als Maler ihre Frage, die gleichsam auch eine These sein könnte, hinreichend beantworten kann. Auf jeden Fall ist mir die Einsamkeit sehr vertraut, da sie mein Leben als Malers, kennzeichnet. Wichtig ist doch für ein Menschenleben nur, dass die Einsamkeit ein gewollter Zustand und kein Verhängnis ist. Das Atelier ist mein Rückzug, mein Reservoir, meine Privatkirche, wenn Sie so wollen, da mir sonst alles zuviel würde und das Leben mich erschlagen könnte. Es ist eine Daseinsnotwendigkeit. Das werden Sie als Philosoph, Herr Max Lorenzen, doch ähnlich empfinden. Ich glaube nicht, dass man zu einem Philosophen oder meinetwegen Maler wird, dass man die Einsamkeit, die letztlich in jedem Menschen steckt, ständig zu bevölkern sucht. Auf der anderen Seite sind Bilder, Schriften, was auch immer, Kommunikationsangebote, um mit anderen Menschen in Beziehung zu treten. Jean Paul sagt das sehr schön:’…Bücher, Romane sind dicke Briefe an Freunde’. Zu ergänzen wäre dieser Satz durch: …solche, die man noch nicht kennt.
Sie, Herr Lorenzen, hat es in die Philosophie verschlagen und mich in die Kunst. Wir beide trafen diese Entscheidung mit dem Wissen an, dass dieser Entschluss unser Leben auf einer alltäglichen, wie existenziellen Ebene, nicht erleichtern, sondern im Gegenteil, erschweren wird. Das war völlig klar. Wir haben uns bewusst für ein sorgenvolleres Leben entschieden. Oder glauben Sie, dass sich 1992, als ich in Leipzig zu studieren anfing, irgendein Mensch für Malerei interessierte? Mehr noch: In den Augen nicht weniger Leute, war der Entschluss, Malerei in der Nachwendezeit zu studieren, etwas Hirnrissiges. Wenn sie heute, durch dieselbe Akademie gehen, werden Sie schnell feststellen, dass ein anderer Wind weht. Trotzdem bin ich im Nachhinein froh, dass ich damals und nicht heute auf die Leipziger Akademie kam. Sicher, diese Zeit war demutsreich, weil kein Mensch sich für meine Malerei interessierte. Aber auf der anderen Seite war diese Situation wichtig, da sie mich robust machte, indem sie mich noch mehr zwang, mein Projekt voranzutreiben. Leipzig wäre für mich im Moment daher kein guter Ort, um Malerei zu studieren.
L: In all Ihren Bildern zeigt sich die Doppelwertigkeit unseres Daseins. 1999 haben Sie in diesem Zusammenhang das Bild "Übungen zur Meisterschaft" gemalt. Sie waren noch auf der Suche zwischen Vormoderne und Nachmoderne, zwischen Jusepe de Ribera und Francis Bacon, Gegenständlichkeit und Abstraktion. Das Diplom an der Leipziger Kunstakademie haben Sie zuvor absolviert. Die Lehrjahre unter ihrem Professor waren sehr lehrreich. Eine Auseinandersetzung mit neuen und lebenden Lehrmeistern hatten begonnen: DarunterSigmar Polke und Gerhard Richter. Konflikte, die Sie auch mit diesen Malern hatten, scheinen sie zu interessieren.
Es gibt eine ‚große Bestialität, die in uns allen herrscht’ (Gespräch, 1997), die Sehnsucht nach dem Gegenteil – und, für Sie ganz zentral, die ‚innere Freude’, die uns die Kunst, schon in der Rezeption und sicherlich erst recht durch das Malen selbst, gibt: ‚Kunst ist doch immer Freude, ob ich nun etwas Fröhliches entwickle oder etwas Tragisches darstelle’ (Gespräch, 2003). – Kommen wir damit der Doppelwertigkeit des Lebens näher, wenn wir begreifen und fühlen, dass es zugleich Freude und Trauer ist, beide nicht ohne einander sind, ja ihres Gegenteils bedürfen?
K: Erst kürzlich, das rührt fast wieder an ihre Einsamkeitsfrage, war ich im Wald ziellos unbestimmt unterwegs. Plötzlich kam mir ein älterer Mann entgegen, von dem ich dachte, er sei so wie ich, ebenso beim schlendern unterwegs. Als wir einander näher kamen, stellte ich fest, dass er in seinen Ohren diese merkwürdigen Stöpsel hatte mit denen er offenbar Musik oder weiß der Teufel was hörte. Er konnte dem Augenschein weder dem Rauschen der Blätter, noch das Vögelgezwitscher wahrnehmen. Er hat bewusst oder unbewusst, auf die Möglichkeit einer sich bietenden Ruhe, um nicht Stille zu sagen, verzichtet. Ich dachte für mich, dass dieser Zustand anmutender Ruhe für ihn etwas Unerträgliches sein könnte. Man kann doch nicht das Licht anschalten, wenn man ins Kino geht. Offenbar aber wird für diesen Menschen, wie wahrscheinlich für immer mehr Menschen, die Kenntnis von den sich einander bedingenden Zweiheiten, die am Grund der Welt rühren, immer weniger bedacht oder überhaupt gedacht. Es fällt mir übrigens auch auf, dass gewisse Filme, die schon deswegen unzeitgemäß sind, weil sie langsamer sind, schwerer anzuschauen, schwerer zu konsumieren sind. Das fällt mir gerade dann auf, wenn ich Filme eines Angelopoulos, Wenders oder eines Jarmusch’s dem Freund oder Bekannten zum Anschauen mitgebe und dieser aber in den seltensten Fällen etwas damit anfangen kann, und wenn sie geschaut werden, nicht mit der nötigen Konzentration betrachtet werden. Vielleicht ändern sich unsere Sehgewohnheiten durch Internet und Fernsehen – ich hab’ keine Ahnung. Auf der anderen Seite tut sich für mich eine Diskrepanz auf, denn ich spür’ für mich umso deutlicher, wie wichtig die Verlangsamung für mein Leben, meine Arbeit wird.
…Schafft die Gestaltung eines solchen Beieinanders von Schönheit und Kälte nicht die Grundlagen einer heutigen, nachmodernen Ästhetik?
L: Wirkliche (also jetzt: nachmoderne) Philosophie geht, wie auch die Malerei, diesem Zusammenhang, diesem Zugleich von Bestialität und Freude nach und versucht beides in einer, wie man früher sagte, intellektuellen Anschauung vors innere Auge zu bekommen. Betrachten wir nun, Sie und ich, wenn ich das vorschlagen darf, Ihre ‚Nike’-Bilder (2006). Das erste sieht wie eine Variation von ‚Am Ende der Ungeduld’ aus. Das junge, beinahe unbekleidete Mädchen wirkt wie zerschlagen und liegt in einer Pose, die den Betrachter fast zwangsläufig zum Voyeur macht, in einem mächtigen Sessel. ‚Nike II’ könnte eher die Doppelgängerin darstellen. Sie schmiegt sich an die Lehne des Sessels beinahe wie an ein menschliches Wesen; aber dennoch gibt es keine Verbindung zwischen der Kind-Frau und dem Möbel: dieses weist sie genauso ab wie seine Mutter (erst wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass der Körper, Kopf und Arme des Mädchens keine Verformungen des Ledermaterials bewirken). Betrachtet man jetzt beide Bilder noch einmal, stellt sich ein Gefühl des Unheimlichen ein. Und gerade deswegen empfindet man, jedenfalls geht es mir so, nun so etwas wie Rührung angesichts der Selbstpreisgabe dieses Körpers.
Welch eine Mischung: In dieser Hingabe, ja Sorglosigkeit gegenüber dem Kalten und Fremden entsteht eine merkwürdige Schönheit, die durch die Beimischung des Lasziven, beinahe Obszönen nicht aufgehoben wird. – Ich begeistere mich beim Anschauen der Bilder und nehme, glaube ich, etwas von der Freude wahr, von der Sie sprachen, vergesse dabei aber – beinahe – meine Frage. Sie lautet: Schafft die Gestaltung eines solchen Beieinanders von Schönheit und Kälte (die sich eben nicht in einer angeblich höheren Synthese aufheben!) nicht die Grundlagen einer heutigen, nachmodernen Ästhetik? Und weiter: Was wäre für Sie Schönheit heute, im nachmodernen Zeitalter?
…Der Zeitgeist hat sich angewöhnt, die Schönheit isoliert als ein absolutes Gut zu betrachten
K: Es freut’ mich immer, wenn ein Betrachter etwas von jener Freude empfindet, die ich beim Malen empfand. Mehr noch freut es mich, dass sich ihre Freude nicht sogleich, sondern beim zweiten Blick einstellte. Ja, meine Tochter Nike, die ich in jenen zwei Bildern malte, ist von einer unantastbaren Schönheit. Aber mit einer solch unschuldigen Reinheit allein, lässt sich noch keine großartige Malerei machen. Da kommen wir wieder zu dem innewohnenden Zweifel, der ja in mir eher unbewusst als bewusst zum Ausdruck kommt. So wie es mir, lieber Herr Lorenzen, generell Mühe bereitet, im Nachhinein Rechenschaft über das einst Gemalte abzulegen, denn zum einen ist oft jedes entstandene Bild zu komplex, um exakt darauf eingehen zu können, um die Urgründe plausibel darlegen zu können. Auf der anderen Seite hieße dies auch, Rechenschaft abzulegen, über einen doch weitgehend unvernünftigen Prozess, der das Malen nun einmal ist.
L: Noch einmal nachgefragt: Was bedeutet für Sie Schönheit heute?
K: Der Zeitgeist hat sich angewöhnt, die Schönheit isoliert als ein absolutes Gut zu betrachten. Die wenigsten Menschen werden, wie eben von ihnen beschrieben, ein gleichzeitiges Beieinander von Wärme und Kälte im Falle der beiden Nike-Bilder, ein Schönheitsmotiv erkennen können. Wird heute also beispielsweiße Kälte attestiert wird, wird gleichsam oft auch der Schönheitsbegriff ausfiltriert.
Wenn Sie auf der anderen Seite ein Bild von Corinth betrachten, nehmen wir das Bild ’Kain’(1917) oder Ribera’s ’Ixion’(1632), so lässt sich leicht ausmachen, dass dies zwei Bilder sind, die durch eine gewisse Aggressivität auffallen. Sie sind, im wahrsten Sinn des Wortes, gewaltig und bestechen sogar durch eine scheinbare Hässlichkeit. Beide Maler haben aber ihren Platz nicht dadurch gefunden, dass sie uns bewusst etwas Hässliches malen wollten. Sie haben diese Bilder gemalt, weil der Zustand des Hässlichen, wie des Schönen, gleichsam aus ihnen spricht. Aus diesem Impuls haben diese Maler große Kunst geschaffen. Infolgedessen ist das Hässliche etwas, was unbedingt zum Schönen mit hinzugezählt werden muss. Fehlt hingegen gänzlich die Korrespondenz zwischen diesen Polaritäten, entstünde schnell Kitsch – Im Alleinschönen, wie Alleinhässlichen. Der entscheidende Punkt ist doch im Grunde eine intellektuelle Voraussetzung. Natürlich wird Malerei auch immer an dem Maße ihrer handwerklichen Solidität gemessen. Das war immer so und wird immer so bleiben.
Aber das Handwerk alleine, wird es auch nicht richten, denn Kunst, kommt ja, wie wir ja bereits wissen, nicht von Können.
Stellte man auf der anderen Seite exemplarisch z.B. die Werke Corinth’s und Ribera’s neben Werke zweier gefeierter zeitgenössischer Maler wie Alex Katz oder Norbert Bisky, für deren Blendwerke heute übrigens nicht wenige Sammler enorme Summen ausgeben, hat man plötzlich das Gefühl, Jahrmarktsmalerei zu betrachten, weil bei diesen Mittelstreckenmalern die sich bedingende Wechselwirkungen vom Wesen der Schönheit unterbelichtet oder gar nicht vorhanden sind. Weder in der Bildkomposition, noch in der malerischen Umsetzung. Alle Kunst strebt nach Schönheit. Auch jene beiden zeitgenössischen Maler streben natürlich nach Schönheit, wenngleich hier zu konstatieren ist, wo nichts ist, kann auch nichts werden. Eine wirkliche Schönheit, so würde ich denken, kommt eben selten allein, ja es bedingt geradezu eines Gegenübers.
L: Wäre das vielleicht ein großes Ziel heutiger Malerei, nach den Bedingungen und Möglichkeiten einer neuen Schönheit zu suchen und sie darzustellen?
K: Ich fürchte, dass werde ich nicht beantworten können. Jedes Bild, eines wie auch immer malenden Künstlers, ist doch immer ein Ausdruck der jeweils spezifischen Schönheit. Ihre Frage wird nur die Zeit beantworten können, denn ein Künstler verfügt zwar über einen Gestaltungsrahmen, die Bedingungen dafür gibt zum einen die Gesellschaft, zum anderen aber auch die Kunstgeschichte vor. Wir sind also gar nicht so frei, wie viele meinen. Aber wir haben im Laufe des Lebens zumindest die Chance uns zu befreien. Immerhin!
L: Vielleicht arbeiten wir beide, wenn ich das sagen darf, an derselben Sache, jeder auf seine Weise. Die alte (moderne!) Furcht der Maler und Dichter davor, sich über ihre Werke zu äußern, ist überholt. Deswegen reden wir miteinander. Und wir treiben hier keine Kunstgeschichte und nehmen keine Be-griffszergliederungen vor, sondern versuchen, uns über die neuen Bedingungen der Inspiration zu verständigen, weil uns das unmittelbar angeht. In ‚Deafcon No. 1’ zeigen Sie sich bei der Arbeit. Aber sie stehen nicht vor einer Staffelei, sondern direkt vor der Zimmerwand und halten – was in der Hand? Auf jeden Fall betrachten Sie mit äußerster, gespannter Aufmerksamkeit die leere, seltsam leuchtende Fläche vor sich. Wonach suchen Sie?
K: Ich halte lediglich eine Lampe in der Hand.
L: Das neue Lebensgefühl, dem Sie in Ihren Bildern zur Sprache verhelfen, beruht weder auf bloßer ‚Abneigung zum Dasein’, noch auf ‚uneingeschränkter Daseinsbejahung’ (Gespräch, 1997); es beinhaltet beides gleichzeitig. Ist eine solche parallele Wahrnehmung die Voraussetzung dafür, die Intensität der Realität wahrzunehmen und solchermaßen eigentlich sie – sich selbst malen zu lassen (‚Bin ich es, der malt? Spricht durch meine Bilder nicht die Bäume, der Wind, das Geschlecht, die Geschichte?’, ebda.)? Bedarf es zu einer solchen Wahrnehmung einer besonderen Wachheit? Wenn ja, wie gelangt man in einen solchen Zustand?
…Warten als ein versunkenes Innehalten, welche die erlösende, unnachgiebige Genauigkeit zum Ziel hat
K: Eine Wachheit, wie Sie sagen, ist, für mich gesprochen, auf jeden Fall erforderlich, womit wir wieder bei der eingangs besprochenen und erforderlichen Konzentration wären. Die Suche nach einem zündenden Initial ist manchmal entmutigend, manchmal ermutigend. Es gibt Tage, wie jene in Ohio, wo ein Initial, fast wie in einer Kettenreaktion, das nächste auslöst usw. Dann gibt es wiederum Tage, wo sich nichts tut, wo es mir schwer fällt, so etwas, wie eine innere Ruhe zu finden. Dann renn’ ich meist wie ein Trottel umher und versuch’ mich zu zerstreuen, erledige Dinge im Haushalt, renne mit der Bohrmaschine umher oder schlage Nägel in die Wand. Das sind aber alles nur mehr oder weniger Scheintätigkeiten. Im Grunde ist es aber eine andere, ziemlich unelegante Form des Wartens. Das kann man sich wie ein Wartezimmer beim Zahnarzt vorstellen, nur dass ich eben zugleich Patient und Arzt bin.
Auf der anderen Seite ändert sich in mir auch etwas in der Bildfindung, denn früher benötigte ich ja, wie Sie wissen, zunächst die Anschauung der näheren Umgebung. Heute schwirren zum Teil ganze Bilder in meiner Vorstellung umher, ohne das mir irgendetwas von dieser Vorstellung oder besser: Vision jemals unter die Augen gekommen ist. Das erschwert mitunter die Umsetzung, wie Sie sich vorstellen können. Auf jeden Fall aber kann ich sagen, dass mein Warten ein versunkenes Innehalten, welche die erlösende, unnachgiebige Genauigkeit zum Ziel hat. Bis man den vermeintlich rechten Weg sieht. Aber, selbst wenn man den rechten Weg gefunden zu haben glaubt, ist er ja nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite wird dann eben doch auf der Leinwand entschieden.
L: Nochmals ganz direkt gefragt: Wonach suchen Sie Ihre Modelle aus, warum sieht man so häufig Ihre Frau und Ihre Tochter auf Ihren Bildern?
K: Das ist eher Bequemlichkeit. Ich kenne ihre Physiognomien und sie kennen auch ein wenig meine Psychologie. Es ist eine Art von unausgesprochener Verständigung, die mir übrigens auch bei den anderen Bildfiguren zugute kommt, die ja allesamt, wie sie wissen, Freunde und Bekannte sind. Ein dankbarer Umstand, der vieles erleichtert.
L: Beinahe zum Schluss eine auf anderes zielende Frage. Man kann Sie der Leipziger Schule zurechnen, der vom Kunstmarkt nun schon seit einigen Jahren große Aufmerksamkeit geschenkt wird. Bedeutet dieses "in"-Sein für Sie eine Förderung, sozusagen einen Motivationsschub, der es Ihnen ermöglicht, die Grenzüberschreitung noch weiter zu forcieren? Oder hat es andere Gründe, dass die Gefährlichkeit Ihrer Bilder nicht nur thematisch, sondern auch formal noch einmal zugenommen hat?
…Es gilt seinen Rhythmus zu finden, sonst zerfrisst der Kunstmarkt einen auf einer existenziellen Ebene
K: Es ist auf der einen Seite natürlich sehr schön, wenn man als Maler von seiner Arbeit leben kann. Aber nur weil mein Leben früher sorgenvoller war, war es nicht weniger lebenswert, denn es gab und gibt ja für mich nichts schöneres, als so ein Menschenleben zu führen. Immer schon!
Auf der anderen Seite gilt es, gerade wenn die Dinge sich leichter zu fügen scheinen, mindestens ebenso konzentriert und vielleicht noch konzentrierter zu arbeiten, denn der Erfolg, wenn man ihn als solchen bezeichnen will, kann einen schnell leichtsinnig machen. Meine Jahresproduktion beläuft sich derzeit auf zehn bis zwölf Bilder. Tendenz eher fallend – zum Leidwesen meines Galeristen. Das heißt: Es gilt seinen Rhythmus zu finden, sonst zerfrisst der Kunstmarkt einen auf einer existenziellen Ebene. Ich finde ja ohnehin, dass zu einem Malerdasein unbedingt ein Moment des inneren Widerstandes gehören sollte, der stark genug sein sollte, um dem Gängigen zu entgegnen. Selbst aus einem Wohlbefinden heraus hat ein Maler Widerstand zu entwickeln und letztendlich natürlich auch zu überwinden. – Nur dann hat er doch das Gefühl, dass er ist.
…Ein Sog des Gefälligen, des Unterhaltsamem macht sich allenthalben breit
Wenn Sie jedoch beispielsweise auf den zeitgenössischen Kunstmarkt der letzten Jahre schauen, werden Sie nur unschwer übersehen können, dass eine kunstschaffende Mehrheit die Bedürfnisse des Marktes gewissermaßen ablauscht. Natürlich wird wieder vermehrt gemalt. Aber das alleine reicht noch nicht, um das Statement von einem höherem Level zu rechtfertigen. Dabei geht es mir nicht darum, die grundsätzliche verbindende Korrespondenz zwischen Kultur um Kommerz zu geißeln. Vielmehr geht es hierbei um die Frage der Priorität. Ist ein Bild durch seinen inhaltlichen, dass heißt formalen Gehalt bestimmt? – Ist die Nachfrage also zweitrangig oder bestimmen Verkaufszahlen, was gemalt wird? Nicht nur ein Blick auf die Massenmedien, den kulturellen Raum genügt, um sich klarzumachen, dass eine unglaubliche Kommerzialisierung und Nivellierung fortgeschritten ist. Denn aus der Vielzahl der gemalten Bilder erwuchs keine Vielfalt sondern eine zunehmende Uniformität. Ein Sog des Gefälligen, des Unterhaltsamem macht sich allenthalben breit. Wobei ich gern’ ergänzend anfügen würde, dass gegen eine Unterhaltungskomponente nichts spricht, denn in jeder Arbeit sollte doch ein Moment der Freude oder des Spaßes integriert sein, denn nur dadurch wird für uns die Tätigkeit überhaupt erst interessant. Kritisch aber wird es eigentlich nur, wenn man sein ganzes Tun unter jeder Spaßkomponente zu subsumieren versucht. Es wird zuviel ausgespart, was Sperriges zumutet.
L: Würden Sie sich selbst als Vertreter der Leipziger Schule zurechnen?
K: Nein, ich bin weder ein Vertreter irgendeiner Schule noch eines Labels. Ich bin meine Eigenvertretung.
L: Sie bewundern Ribera. Welche Maler der Vergangenheit – und der Gegenwart – sind für Sie noch besonders wichtig? Welche Art Literatur, welche Autoren, lesen Sie, welche Musik hören, welche Filme sehen Sie gerne?
K: Bacon, Hammershøi, Rauschenberg sind großartig! Musik höre ich ausschließlich im Atelier. Die ist eher spröde, laut und spannungsgeladen, weil sie am ehesten meinem Spannungsverhältnis beim Malen entspricht. Ein paar Filmregisseure hab’ ich schon genannt. Einen aber, Christopher Nolan, würd’ ich gerne gesondert erwähnen. Seine Filme sind mir die liebsten, vom ersten(Following, 1998) bis zum jüngst erschienenen Film (Prestige, 2006). Selbst seine frühen, niedrigbudgettierten Filme sind auf eine intelligente und angenehme Weise ausgeklügelt. Er vollzieht in seinen Streifen enorme Wendungen, setzt beim Betrachter oder Zuschauer viel voraus und kann, was für das Filmemachen noch viel wich-tiger ist, intellektuelle Sprünge formal umsetzen.
Ich lese momentan leider viel zu wenig. Mein Lesen ist auch kein mannigfaltiges Lesen, es ist oft ein wiederholendes Lesen. Ich tu’ dies meist abends, vorm Schlafengehen, um kurz darauf beseelt abzudriften. Fortwährend, wieder und wieder lese ich vorzugsweise‚ Rameau’s Neffe’ von Denis Diderot, weil es eben ein Buch mit vielen Stolpersteinen ist.
©2007 Max Lorenzen | Aris Kalaizis
Max Lorenzen, geb. 1950, Philosoph und Schriftsteller, ist Begründer des Marburger Forums. Er veröffentlichte u.a. "Das Schwarze: Eine Theorie des Bösen in der Nachmoderne. Eine Idee der Aufklärung" sowie "Krankheit. Kälte. Unsterblichkeit: Drei nachmoderne Erzählungen". Zuletzt arbeitete er an einer "Philosophie der Nachmoderne". Max Lorenzen starb 2008 in Marburg.