Es gibt nichts Schöneres und zugleich nichts Schwierigeres, als Malerei zu betreiben
Volly Tanner, Leipziger Stadtikone, fragt 2014 den Leipziger Maler Aris Kalaizis in einem kurzem Gespräch über Leipzig und sein Empfinden in dieser Stadt zu leben, die Liebe zur Malerei sowie über die Abneigung gegenüber Freizeitbeschäftigungen
Tanner: Welches ist dein persönlicher Lieblingsort/platz in Leipzig – und ganz besonders warum eigentlich?
Kalaizis: So einen richtigen Lieblingsplatz habe ich eigentlich nicht. Es wäre sicherlich richtig und nicht bigott, hierfür mein Atelier anzuführen – zumal es in der Tat der Ort ist, der mich nach gemachter Arbeit, bei einem Glas Wein zu den verschiedensten Menschen führt.
Wenn es aber einen Ort darüber hinaus geben sollte, so ist es wahrscheinlich ein Restaurant, denn einmal in der Woche gehen meine Frau und ich bestimmt gemeinsam aus zum Essen. Zumeist gehen wir dann ins griechische Restaurant Mytropolis im Stadtteil Gohlis. (Dieser Ort ist aber nicht zu verwechseln mit der Lokalität Metropolis, in der man die feinen Rundungen und Popöchen tanzender Mädels bewundern kann!)
Es gibt ein paar wenige Restaurants, die authentische Speisen in angenehmer Atmosphäre bieten. Das Münsters, die Trattoria no.1 und eben das Mytropolis, wo wir ein bisschen Griechisch sprechen können. Man kennt sich und verabredet sich auch außerhalb des Restaurants.
T: Wenn du einem Außerstädtischen erklären solltest, was du genau machst – einem, der wirklich und wahrhaftig noch niemals mit deinem Métier zu tun hatte, was würdest du ihm erzählen?
K: Dann würd‘ ich ihm erklären, dass ich mir mit dem Beruf des Malers ein Stückchen Kindheit erhalten habe, mitsamt dem Wundern, dem Zögern sowie dem Innehalten. Im Grunde sind dies Dinge, wie das Malen im übrigen auch, die in jedem Menschen – mehr oder weniger – angelegt sind. Das diese Wesenheiten dann im Schulalter und nicht selten in der Schule versiegen, zumal wenn vornehmlich bei den Jungen das Interesse für Technik und Sport hinzu gelangt, ist nicht zu leugnen. In meinem Fall war es ähnlich: Ich wusste die ersten 16 Jahre meines Lebens nicht, dass ich eine musisches Element, dass in mir die Bilderneigung vorhanden war.
Ich wusste bis dahin nur, dass ich anders, dass ich verschieden von meinen Mitschülern war und das mein Anderssein lediglich eine gefühlte Andersheit war, da ich noch nicht über die geeignete Sprache, das entsprechende Übersetzungstool verfügte, dies auszudrücken. Keine Frage: Dieser Zustand war unbefriedigend. Ich brauchte also zunächst ein Weilchen, um zu Erkennen, dass ich im Grunde meines Wesens ein Augenmensch bin, einer der seinen Augen mehr traut als seinen Ohren. Mein Übersetzungstool war und ist die Malerei. Sie nahm mich als spätpubertierenden in ihren Schoß.
Was dabei entsteht ist wohl am besten mit einer Liebesbeziehung zu erklären, die – und das ist das Schöne – bis zum heutigen Tage fortwährt. In ihrem Schoß lernte ich die Technik der Welterfahrung und mit zunehmender Erfahrung erlernte ich die Technik der Weltentfernung. Denn Malerei vermag nicht nur Welt darzustellen, sie vermag darüber hinaus zu gehen und somit auch das eigene Leben zu übersteigern. Es gibt nichts Schöneres und zugleich Schwierigeres. Daher ist sie gleichsam Lust und Last. Jedoch: Wenn ich noch einmal die Wahl hätte, so würde ich mich abermals für sie, die Malerei entscheiden.
T: Was hält dich in Leipzig? Was macht Leipzig für dich aus? Warum Leipzig und nicht irgendwo sonst auf diesem Planeten?
K: Zunächst ist zu sagen, dass ich mir meine Geburtsstadt Leipzig nicht ausgesucht habe. Keiner hat mich gefragt. Trotzdem lebe ich noch heute in dieser Stadt, mittlerweile sogar recht gern. Vermutlich werde ich in dieser Stadt auch sterben. – Aber nur, wenn sie mir weiterhin als lebenswert erscheint. Insofern ist es doch immer wichtig, dass wir aus dem Zustand, den wir nicht zu verantworten haben, kein Verhängnis wird, sondern ihn aus einem inneren Bedürfnis heraus bejahen. Ja, ich lebe gern in Leipzig.
Das heißt, dass mein Dasein als Maler durch mein Umfeld nicht beeinträchtigt wird, sondern begünstigt wird. Nun wird man meinen, begünstigt heißt, man braucht ein gutes Umfeld, wo letztlich die Bilder gekauft werden. Nein, an erster Stelle ist zu sagen, dass ein Maler ein produktionsfreundliches Umfeld vorfinden muss, in dem er überhaupt etwas auf die Beine stellen kann. Alles weitere, ob ein Bild gekauft wird, ist sekundär. Wenn das Produkt aber gut genug ist, kommen die sogenannten Märkte, die ja sehr kreativ in der Technik der Geldvermehrung sind, auf einen zu.
Ist dies aber nicht der Fall, so hat er seine Hausaufgaben besser zu erledigen, bevor er sich aufmacht, zu noch größeren Märkten zu gehen und dies gar eines besseren belehren zu wollen. Was ich sage, meine ich daher weniger in einem wirtschaftlichen Sinne. Ich meine es eher in einem ideellen Sinne, dass das Umfeld des Malers ein in jederlei Hinsicht inspirierendes Umfeld zu sein hat, dass vom maßvollen, betont nicht betörendem Umgang mit Anderen und Anderem geprägt ist. Daher sind Großstädte von mittlerer Größe ideal! Ein Maler sollte nicht auf dem Land leben, da die Ausübung seines Berufes ohnehin von nicht geringer Einsamkeit begleitet wird.
Es gibt keine Motto, keine Richtlinie, keine Ideologie nach der ich lebe
Er sollte weder in einer Kleinstadt leben, da in ihr nicht selten der Kleingeist zu Hause ist, er darf auch nicht in der unentwegt pulsierenden Metropole leben. Die Metropolen von New York bis Berlin bilden schon lange keinen Humus aus dem man Kultur ziehen kann. Nur die Mittelmäßigen unter den Kunsttreibenden treibt es noch in die Metropolen. Der kreative Stoff kommt aus den Peripherien. Die Metropolen sind gewiss Kulturverwerter ersten Ranges geblieben.
Leipzig nun ist weder Metropole, noch Kleinstadt. Sie ist nicht zu groß, nicht zu klein. In ihr kann man sich zerstreuen aber auch finden. Es gibt Akademien. Auch ist sie international und es besteht eine gute Bandbreite verschiedenster Lebensformen.
Als ich nach dem Fall der Mauer in Leipzig Malerei studierte, galt meine Studienwahl so manch einem als absurd, so als würde man der Idiotie anheim gefallen sein. Damals hieß es: Medizin, Architektur oder Betriebswirtschaft. Mit Malerei – so die damalige Meinung – ließ sich kein Geld verdienen. Dabei erinnere ich mich noch gut, dass Leipzig in der Vor ‑und Nachwendezeit einzig als Musikstadt galt. Es ist nach beinahe 25 Jahren wunderbar zu erleben, dass auch die Malerei ein wenig dazu beitragen konnte, Leipzig attraktiver zu machen.
Der Erfolg der sogenannten Leipziger Schule ist aber immer zyklenhaft gewesen und liegt vor allem darin begründet, dass es Zeiten gibt, in denen das Interesse für Malerei beinahe zum Erliegen kommt. Beruhigt sich die Bildkonjunktur und der Börsenwert der Leinwände, kommt – wie aus dem Nichts – die Stunde des Künstlers, der das Neue in sich trägt. Daher brauchen wir nichts mehr als die Ebbe und nichts weniger die Flut!
T: Bitte gib mir ein paar Softfacts von Dir. Familienstand? Und seit wann? Kinder? Und was für welche wenn ja?
K: Geboren bin ich 1966 in Leipzig als Produkt einer damaligen Liebe zweier griechischer, politischer Emigranten, die aufgrund des griechischen Bürgerkrieges (1946−1949) nach Deutschland kamen. Seit nunmehr einem Vierteljahrhundert bin ich verheiratet mit meiner Annett. Sie ist das Glück meines Lebens. Mit lediglich 58 Jahren und viel zu früh, verstarb im Februar des Jahres 1994 mein Vater. Sein Verlust, den ich sehr lange Zeit nicht verdauen konnte, war ein Schock, denn mit ihm ging nicht nur ein Vater, sondern ein Freund.
Eine Woche nach seinem Ableben, sagte mir meine Frau, dass sie schwanger sei. Es folgten Monate der Trauer und in geringerem Maße der Zuversicht. Bis zur Geburt unseres gemeinsamen Kindes wussten wir weder Namen, noch Geschlecht des Kindes, da wir das Kind in Augenschein nehmen und anschließend entscheiden wollten. Wie so oft jedoch, kommt es anders, als man denkt: Nach der Geburt unserer Tochter entschieden sich die behandelnden Ärzte, das Neugeborene zur weiteren Behandlung in eine Kinderklinik zu geben.
Es vergingen mehrere Wochen. Man sagte uns, dass unsere Tochter unter einer einem angeborenen Herzfehler leiden könnte. Später meinten andere Ärzte, die Flachatmigkeit unseres Kindes könne mit einem angeborenem Lungenschaden zusammen hängen. Es war eine fürchterliche Zeit. Zwischendurch die Anrufe der Hebamme. Naturgemäß wollte sie endlich den Namen für unsere Tochter wissen, den ich ihr aber noch nicht geben konnte, damit endlich die Geburtsurkunde ausgestellt werden konnte. Da wir nach gut zwei Wochen immer noch keinen Namen parat hatten und meine Frau noch im Krankenhausbett lag, übertrug meine Frau mir das alleinige Recht zur Namensgebung.
Mir erschien es als Bürde. Ich kann mich erinnern, dass ich dazu nur unter Tränen fähig war, da ich nach dem Ableben des eigenen Vaters und den Prophezeiungen unserer Ärzte, nun auch um das Leben unserer kleinen Neuankömmlings fürchten musste. So blätterte ich ein wenig in der Mythologie und kam auf die griechische Göttin des Sieges: NIKE. Später, nach ca. vier Wochen, war es dann soweit: Unsere Tochter Nike wurde aus der Kinderklinik entlassen. Man stellte bei ihr daraufhin lediglich eine ausgeprägtere Thymusdrüse fest, die auf das Zwerchfell drückte und daher die Atmung ihrer ersten drei Lebensjahre verflachen ließ. Im kommenden Jahr wird die putzmuntere und kerngesunde Nike zwanzig Jahre und möchte Jura studieren.
T: Interessen neben deiner Tätigkeit?
K: Nein, ich habe keine Hobbys. Die Tätigkeit als Maler füllt mein Leben aus. Ich habe nicht die Zeit, um eine Paralleltätigkeit zu betreiben. Das ich nun – wie wahrscheinlich die meisten Menschen – lese, ist kein Hobby, sondern gehört zum Beruf. Angenommen aber, ich könnte über mehr Zeit verfügen, so würd‘ ich sie bestimmt ebenso dem Universum Malerei opfern.
T: Gibt es persönliche Ziele? Und wenn ja, welche?
K: Die Erfahrung meines bisherigen Lebens hat mir gezeigt, dass der Schlüssel zu einem gelingendem Leben – um nicht zufriedenen Leben zu sagen – im wesentlichen durch kontinuierliche Arbeit bestimmt wird. Ich kann die tollsten Reisen in fernste Länder unternehmen, so etwas wie Glück spüre ich jedoch nur, wenn ich mehrere Stunden im Atelier zugebracht habe und zudem auf der Höhe meiner Möglichkeiten agierte, – was zugegeben – häufiger vorkommen könnte. Das ist aber dann ein subjektiveres Empfindungsglück.
Ob daraus die gewünschte Anerkennung folgt, wird später entschieden und steht auf einem anderen Blatt. Da ich aber das Prinzip Hoffnung, als in die Zukunft verlagerte Existenzform ablehne, versuche ich mit jedem neuen Bild ein Stückchen weiter zu kommen. Also heißt es: Durch Arbeit weitere Fehler machen, diese erkennen und sie möglichst kein zweites Mal machen. – Oft ist aber Weg dorthin entmutigend und nur zu selten ermutigend. Aus den wenigen Momenten jedoch beziehe ich aber die Kraft für alles weitere Tun.
Und ja, ich versuche gesund zu bleiben! So lang es eben geht. Früher, als ich noch ein junger Knabe war, dachte ich für mich selbst, wie altbacken und langweilig ein Leben sein muss, um sich Gesundheit zu wünschen. Heute sehe ich, dass es auch ein Zeichen dafür ist, dass man älter geworden ist.
T: Welche Geschichte aus Deinem Leben wolltest Du schon immer mal erzählt wissen – und dadurch für die Nachwelt aufgehoben wissen?
K: Nein, im Grunde habe ich nichts zu sagen, mitzuteilen oder dergleichen. Ich glaube ohnehin, dass wir Menschen aus uns heraus nichts Bedeutendes, nichts Erhabenes vermitteln können. Nichts! Wir können aber aus einem gesteigerten Interesse an Anderen, an Größeren Erkenntnisse gewinnen, die für uns Persönlichkeitsbildend sind. Dafür brauchen wir Vorbilder, an denen wir uns reiben, aufbauen und entwerfen können. Und falls wir uns jemals zu einem wirklichen Menschen entwerfen können, sollten wir uns nicht scheuen, unsere Vorbilder, unsere Lehr- und Lebemeister zu benennen.
T: Gibt es ein Motto, nach dem Du lebst? Richtinien, Werte, Weisheiten? Dann los – wir sind gespannt.
K: Nein, es gibt keine Motto, keine Richtlinie, keine Ideologie nach der ich lebe. Ich weiß heut lediglich, dass sich die Dinge zu schnell ändern können, um mit einer Lebensmaxime, einer Philosophie oder einem – wie auch immer gearteten – Glauben zu begegnen und durchs Leben zu gehen. Auf der anderen Seit bin ich bin dafür, dass man sich mit ihnen beschäftigen soll – aber man sollte ihnen nicht aus Überzeugung anhängen, insofern ihnen nichtideologisch gegenübertreten.
(Quelle: Leipziger Portraits, erschienen im Gmeiner-Verlag)
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