Aris Kalaizis

Bilder, einer zukünftigen Geschichte

Der nieder­ländis­che Museums­direk­t­or Dr. Harry Tupan bes­chreibt das erzählerische Ele­ment am Beis­piel zwei­er Gemälde Aris Kalaizis' sow­ie am Exem­pel der Leipzi­ger Schule

Aris Kalaizis, Detail: Lost 22 | Öl auf Holz | 66 x 85 cm | 2012
Aris Kalaizis, Detail: Lost 22 | Öl auf Holz | 66 x 85 cm | 2012

Das Werk des Leipzi­ger Malers Aris Kala­izis kann dem magis­chen Real­is­mus zugeord­net wer­den, ein­er Strömung, die der nieder­ländis­che Maler Pyke Koch (1901 – 1991) fol­gen­der­maßen bes­chrieb: „Magisch-real­istische Darstel­lungen sind zwar mög­lich, aber nicht wahr­schein­lich.“ Natür­lich kann in der Malerei das Unwahr­schein­liche wahr­schein­lich gemacht werden.Und genau das sehen wir bei Kala­izis. Seine Bilder sind aber keine Kon­sequenz des rein Ima­ginären und bieten somit kein deck­ungsgleiches Abbild des Traumes. Infolge dessen begin­nt sein Arbeit­s­prozess in der genauen Beo­bach­tung der realen Ding­welt, die ihm erst weit­ere Per­spekt­iven eröffn­en. Klar, dass in ihm der Ges­tus des Suchenden innewohnt. Jedoch kann man sagen, dass Kala­izis das Invent­ar der For­men und Farben unser­er Welt benötigt, um sich ein­er tiefer­en, inner­en und let­zt­lich ver­borgen­en Real­ität anzun­ähern. Man kön­nte diesen Schöp­fung­s­prozess auch als die dialekt­ische Ein­heit von Sein und Bewusst­sein bezeichnen.


…Beo­bach­tung der realen Dingwelt


Seine Bilder sind dem­nach eine sehr genaue, ja fast foto­grafis­che (aber keines­falls fotoreal­istische) Wieder­gabe ein­er sach­lichen, rationalen Real­ität ein­er­seits, und eines fant­astischen, irra­tionalen Traumes ander­er­seits. Die Darstel­lung sein­er Fig­uren in ungewöhn­lichen, den Betrachter ver­störenden Situ­ation­en führt zu ein­er starken Entrück­ung, von der zugleich eine große Anziehung­skraft und Fasz­in­a­tion ausgeht.


Das ist zweifel­los der großen tech­nis­chen Meister­schaft des Künst­lers geschul­det: Mit sagen­hafter Tech­nik schafft Kala­izis sehr überzeu­gende Gemälde, in den­en Fiktion und Wirk­lich­keit inein­ander überge­hen. Schade jedoch, dass bei ihm die Zeich­nung nur als Vorzeich­nung für seine Gemälde vorkom­mt. Es liegt dar­in begrün­det, dass sich als rein­er Ölmaler ver­steht, dem die Geheim­n­isse und der Zauber dieser Tech­nik uner­gründ­lich scheinen.


Kala­izis ver­weist auf ein ver­borgenes Mys­teri­um, das hinter der gemal­ten Ober­fläche des Bildes liegt wie eine Art Jen­seits, das sein­en Ursprung natür­lich auch in den Träu­men des Künst­lers hat, in den­en sich seine Wün­sche und Vor­stel­lungen mani­fest­ier­en. Obwohl seine Bilder zumeist unter­schied­lich inter­pretiert wer­den, sind sie den­noch in ihr­er Struk­tur klar und kom­pakt. In ihnen liegt sog­ar eine gewisse Strenge des Bildauf­baus. Ver­mut­lich dient die Klar­heit der Kom­pos­i­tion, um unser­en Auge ein­en Halt für die doch kom­plex­er­en Erzählzusam­men­hänge sein­er Fig­uren zu geben.


Auch haben seine Werke ein­en aus­ge­sprochen kin­emato­grafis­chen Charak­ter. Sie wirken wie ein „Still” aus einem Film, ein einge­froren­er Moment, der sorgfältig kom­poniert und inszen­iert ist. Das ver­wun­dert nicht, wenn man Kala­izis’ Arbeit­s­prozess ken­nt: Tat­säch­lich gehen der gemal­ten Szene aufwändige Auf­bauten voraus, in die später die mensch­lichen Mod­elle plat­ziert werden.


Der in der Fach­welt häufig ver­wen­dete Begriff „Neue Leipzi­ger Schule” für die dritte Leipzi­ger Maler-Gen­er­a­tion, die aus der Hoch­schule für Grafik und Buch­kunst her­vor­ging, ist eher ein Sam­mel­be­griff als eine tat­säch­liche Schule. Als Absolvent dieser Hoch­schule gehört Kala­izis zwar zu dieser Gruppe, aber eigent­lich muss man sein Werk indi­vidu­ell und los­gelöst aus diesem Kon­text betracht­en. Sein­en Bildern eigen ist das für die Leipzi­ger Maler charak­ter­istische erzäh­lende Ele­ment, das uns auch stark in den Werken Neo Rauchs begegnet.


Die Gemälde von Aris Kala­izis lösen Fra­gen aus. Wir sehen Engel in einem zeit­genöss­is­chen Set­ting, auch wenn von Courbet, dem ber­üh­mten fran­zös­is­chen Real­isten des 19. Jahrhun­derts der bekan­nte Aus­s­pruch stam­mt: "Wie kann ich Engel malen, wenn ich sie noch nicht gese­hen habe?" So etwa in dem Werk Him­mel­mach­er (2008), in dem ein nur mit einem String bekleide­ter Engel durch das zer­störte Dach her­abge­sunken zu sein scheint. Das sind Engel, die wir gerne sehen: attrakt­iv, jung, erot­isch. Der schöne Körp­er wird zusätz­lich von einem runden Spiegel mit blauem Rah­men her­vorge­hoben, der an ein­er Wand mit roter Streifenta­pete hängt.

Aris Kalaizis | Die Stunde der Entweltlichung | Öl auf Leinwand | 140 x 180 cm | 2012
Aris Kalaizis | Die Stunde der Entweltlichung | Öl auf Leinwand | 140 x 180 cm | 2012

Hier sehen wir Kala­izis’ kom­pos­it­or­ische Stärke in optima forma. Der diag­onale her­abgestürzte Holzbalken mit Lat­ten, die sich wie Git­ter­stäbe vor den Engel geschoben haben, ver­bind­et alle Ele­mente der Kom­pos­i­tion mitein­ander, einsch­ließ­lich den Mann, der sich mit ein­er Hand auf den ova­len Tisch stützt. Er scheint das Wun­der, das sich hinter ihm vollzieht, nicht wahrzun­eh­men. Wer den Künst­ler nach der Bedeu­tung fragt, erhält als Ant­wort nur ein Achselzuck­en: Kala­izis kom­men­tiert seine Werke nicht. Seine Aufgabe ist erfüllt. Die Tür ist ein wenig geöffnet. Wir, die Betrachter, müssen nun entscheiden, was wir dah­inter sehen.


Ein beson­deres Werk in seinem Œuvre ist Die Stunde der Entwelt­lichung (2012), das durch die blaue Leuchts­chrift am Tresen verbal sehr schön zusam­menge­fasst wird, obgleich das Erschein­en von Schrift­s­prache doch ein wenig über­ras­cht, beden­kt man, dass der Maler an ein­en Gegensatz zwis­chen Sprache und Bild glaubt. Was wird uns Betrachtern aber durch das Auf­schein­en eines gemal­ten Wor­tes ver­deut­licht? – Nichts, denn das Wort fasst ledig­lich zusam­men, was wir sehen: Ein Wun­der, eine Bar.

Aris Kalaizis | Das Band | Öl auf Leinwand | 160 x 210 cm | 2013
Aris Kalaizis | Das Band | Öl auf Leinwand | 160 x 210 cm | 2013

Wir sehen dar­in die Befreiung der auf­steigenden stoff­lichen Hülle, während der Geist – verkörpert durch den Kopf auf dem Tresen – zurückbleibt. Eine männ­liche Fig­ur in schwar­zem Anzug und mit dunklem Hut, der wie ein vor­mo­d­ern­er Toten­gräber anmutet, hält den Geist san­ft zurück. Das sich wieder­holende viol­ette Muster im Hin­ter­grund betont die Ver­tikale und len­kt unser­en Blick nach oben. Ist sich der Bar­keep­er des wun­der­samen Vor­ganges bewusst, der sich neben ihm abspielt? Wunderbar!


In dem groß­form­ati­gen Bild „Das Band“ (2013) begegnen wir einem gedop­pel­ten Engel, der ver­mut­lich den Schauplatz soeben betre­ten zu haben scheint. Ent­weicht dem kop­füber am Boden lie­genden Mann gerade der let­zte Hauch seines Lebens oder wird ihm durch das Band neues Leben einge­haucht? In dieser mod­ernen Kreuzi­gungsszen­er­ie scheint alles festge­froren und fest­gezur­rt. Den­noch wird in diesem Gemälde Bewe­gung sug­ger­iert. In dieser ein­zi­gen Szene ist gleich­sam Hoffnung sow­ie die Abgründigkeit unseres Daseins vorhanden. Han­delt es sich dah­er um eine ver­gan­gene Geschichte oder wird hier eine in die Zukun­ft proj­iz­ierte Geschichte vorerzählt?

Hier offen­bart sich Kala­izis’ Meister­schaft. Die für ihn so charak­ter­istische künst­lerische Intel­li­genz, Mal­tech­nik und Fantas­ie – all das kom­mt in diesen beiden Werken zum Ausdruck.


…geheim­nisvolles Licht


Abschließend noch ein paar Worte zu einem wichti­gen Aspekt in sein­en Werken, näm­lich dem des Lichts: In vielen sein­er Bilder begegnet uns ein geheim­nisvolles Licht, das – oft in der Form eines Strah­len­bündels – fast über­sinn­lich wirkt. Mal ist es eine ein­fache Glüh­birne an der Decke, mal sind es die Schein­wer­fer eines Autos oder ein erleuchteter Glo­bus. Immer spielen die Lichtquel­len eine wichtige Rolle in den Kom­posi­tion­en, sowohl inhalt­lich als auch technisch.


Wun­der­licht, wunderbar!

Aris Kalaizis und Harry Tupan im Café des Drents-Museum, wo das Kalaizis-Element "Wunderbar" integriert wurde
Aris Kalaizis und Harry Tupan im Café des Drents-Museum, wo das Kalaizis-Element "Wunderbar" integriert wurde

Dr. Harry Tupan, geb. 1985, stud­ierte Kun­st­geschichte an der Uni­versität Gronin­gen. Er ist ver­ant­wort­lich für mehr­ere inter­na­tionale Aus­s­tel­lungen und Pub­lika­tion­en. So kur­atierte er die Schauen Real­is­mus aus Leipzig. Drei Gen­er­a­tion­en Leipzi­ger Schule (2009) sow­ie Der Sowjet-Myth­os. Sozi­al­istischer Real­is­mus 1932 – 1960 (2013). Er gilt als Spezi­al­ist für fig­ur­at­ive Kunst und ist fed­er­führendes Mit­glied des Direk­t­ori­ums des Drents Museums.


©2014 Harry Tupan | Aris Kalaizis

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