Wunder, Engel und Dämonen
Ein Gespräch zwischen Eleni Galani und Aris Kalaizis über Engel, der Notwendigkeit von Vorbildern als Wegbegleiter sowie dem Begriff des Sottorealismus
Galani: Du bist in Leipzig geboren. Heute wirst Du der Neuen Leipziger Schule zugerechnet. Wie hast du für dich die Malerei entdeckt?
Kalaizis: Ich bin ein Spätstarter. Infolge dessen habe ich mit dem Zeichnen erst im Alter von 16 Jahren begonnen. Zuvor wollte ich aber Rockstar werden. Blöderweise spielte ich kein Instrument und ich merkte, dass ich mit Luftgitarrespielen nicht weit kommen würde. Aber es war damals gleichsam eine wichtige Zeit, weil mir – vielleicht zu ersten Mal – die Schwere der Welt so manch Frage an mein eigenes Dasein auferlegte. Ich spürte, dass die Kunst mir einen möglichen Ausweg auf meine Fragen bot.
G: Deine Bilder sind figurativ, sie scheinen beinahe fotografisch gemalt und haben einen narrativen Charakter. Zudem gibst du deinen Bildern Titel. Auf der einen seite kann ich verstehen, warum du es lieber bevorzugst, deine Bilder nicht zu kommentieren. Ist es die Aufgabe des Künstlers das Mysterium zu vertiefen, anstatt es zu erklären?
K: Wenn Du in ein Restaurant gehst und eine Suppe löffelst, fragst du auch nicht den Koch: Wie schmeckt deine Suppe? Wie die Suppe schmeckt, musst du beantworten! Natürlich weiß ich, dass sich die Künstler unserer Zeit nicht selten vor ihre eigenen Bilder stellen und diese uns zu erklären versuchen. Das ist aber ein unsinniger und letztlich auch unkünstlerischer Vorgang, der manchmal einfach auch damit zu tun hat, dass die gemachten Bilder einfach auch nicht stark genug sind, um ohne Erklärung oder Textualität auszukommen. Die Kunstgeschichte lehrt uns auch, dass die großen Bilder doch auch über die Jahrhunderte ohne die Erklärung ihrer Demiurgen zurecht kamen und kommen. Künstler, die ihre Bilder erklären, agitieren auch den Betrachter und hemmen ihn dadurch gleichsam selbst aktiv zu werden. Auf der anderen Seite wird unser Bedürfnis nach Erklärung geprägt durch die Allmacht des Fernsehens, das nun in alle Leerstellen der menschlichen Phantasie dringt und diese bis in den letzten Winkel unserer Wahrnehmung belichtet. Das ist im übrigen eine Tendenz, die auch in den Arthouse-Filmen zu beobachten ist. – Auch in ihnen wird zu wenig ausgespart, zu viel erklärt und vermittelt. Daneben müssen wir auch feststellen, dass heutige Menschen weniger lesen und sie sich alleine dadurch eines ganz wichtigen Phantasiemotors berauben. Der Grund, warum ich keine Statements liefere, ist recht einfach: Ich orientiere mich mit meinen Bildern am mündigsten, am aufgeklärtesten Bertrachter.
…wenn Du in ein Restaurant gehst und eine Suppe löffelst, fragst du auch nicht den Koch: Wie schmeckt deine Suppe?
G: Du hast die meiste Zeit deines Lebens in Leipzig gelebt. Deine Eltern waren griechische Emigranten; Hast Du jemals Griechenland besucht oder jemals in Griechenland ausgestellt? Gibt es noch Familienmitglieder die in Griechenland leben? Verfolgst du die griechische Szene oder anders ausgedrückt, was verbindet dich mit diesem Land?
K: Ja, meine Eltern sind infolge des Paidomasoma von Nordgriechenland (Evros) nach Mitteleuropa gelangt und ich darf sagen, dass mich Paidomasoma seit Jahren beschäftigt. Ich wünsche mir, dass ich eines Tages reif genug sein werde, um diesen Stoff malerisch in ein würdiges Gemälde umzusetzen. Na klar, Griechenland besuche ich beinahe jedes Jahr. Es ist nicht nur das Land meiner Eltern, es ist auch das Land meines Herzens. Nein, zu einer Ausstellung ist es bislang noch nicht gekommen, obwohl ich mir beinahe nichts sehnlicheres wünsche. Ja, ich habe eine Tantchen, die in Thessaloniki mit ihrem Sohn lebt. Ich habe ihren Sohn, Jannis Kalmazidis, nach vielen Jahren in der vergangenen Woche getroffen. Jannis weilte in Deutschland, da er als Team-Coach der griechischen Frauen-Nationalmannschaft im Volleyball mit seiner Mannschaft gegen Deutschland spielte. Ich bin sehr stolz auf ihn!
G: In mehreren deiner Interviews hast du erwähnt, dass du in deinen frühen Jahren von dem barocken Maler Jusepe de Ribera sowie dem britischen Künstler Francis Bacon beeinflusst wurdest. Kannst du erwähnen, welch andere Quellen dich inspirieren?
K: Vergleiche sind wichtig und wenn man Anfang steht, sind Vorbilder überlebenswichtig. An ihnen kann man sich zunächst lernend orientieren, später merkt man aber, dass die Last ihrer Errungenschaft zu sehr auf den eigenen Schultern drückt, also muss man sich – so gut es eben geht – wieder von ihnen befreien. Beeinflussbar bleibt man hoffentlich ein ganzes Leben! Leben heißt doch im Grunde: Mitbewegt sein. Wenn man dabei wach und aufmerksam nicht nur für die großen Darbietungen der Museen bleibt, sondern auch für die kleinen Irritationen, mit denen der Alltag aufwartet, hat man ein ganz gutes Rüstzeug für alles Zukünftige.
G: Du siehst dich nicht als Vertreter irgendeiner Schule, oft wird dein aber Werk dem „magischen Realismus“ zugeordnet. 2006 verwendete eine New Yorker Kunsthistorikerin erstmals den Begriff „Sottorealismus“, der als Gegensatz zum „Surrealismus“ verstanden werden kann. Erste Frage: Akzeptierst du den Begriff „Sottorealismus“ in Bezug zu deinem Werk? Zweite Frage: Kannst du aus deiner Sicht den Unterschied zwischen den Begriffen „Sottorealismus“ und „Surrealismus“ erläutern?
K: Es liegt nicht in meiner Verantwortung, Kategorien für meine Arbeit zu finden. Aber nun ist der Begriff da und ich akzeptiere den Neubegriff des Sottorealismus. Vielleicht auch, weil dieser besser als der existierende Begriff Realismus, der die unverstellte Aneignung der Wirklichkeit impliziert, auszudrücken vermag. Tatsächlich waren die Begriffe Realismus und Surrealismus in Bezug zu meiner Arbeit nur begrenzt anwendbar. Selbst der Surrealismus, der durch den Traum evoziiert über dem Wirklichen schwebt, vermochte dies nicht. Ich hatte oft ein ungutes Gefühl, als Realist oder Surrealist bezeichnet zu werden. Der Sottorealismo verhandelt nun die Kategorie des Darunter oder besser des Dahinter, den hinter oder unter dem dargestellten Raum wird zumeist auf einen weiteren Raum verwiesen wird, der die Endlichkeit der Raumes aufheben lässt, wie es Peter Assmann es ausdrücken würde. Ich würde sagen, das Wunderbare, das Numinose ist keineswegs nur eine Angelegenheit der oberen Regionen, des Himmels: Pilze wachsen dicht am Boden und die Edelsten unter ihnen wachsen darunter.
G: Die meisten deiner Bilder ähneln Filmstills oder Inszenierungen. Dabei entstehen zumeist künstliche Räume. Kannst du uns den Entstehungsprozess zu deinen Bildern mitteilen?
…Sottorealismus:Pilze wachsen dicht am Boden und die Edelsten unter ihnen wachsen darunter
K: Ich bin ein Maler der Anschauung. Um etwas überzeugend darstellen zu können, bedarf es aus meiner Sicht des genauen Studiums der Dinge. Damit ist im Grunde das Wesentlichste umrissen: Ein zuvor gebautes Modell ermöglicht mir ein ruhiges Angehen. Steht das Modell einmal, kann ich alle nötigen Veränderungen ruhig und unaufgeregt angehen. Auf der anderen Seite nützt das aufwendigste Modell nichts, wenn die Komposition, die gesamte Bildidee, die ja zuvor nur in meinem Kopf existiert, nichts taugt.
G: Es gibt eine Motive, die in deinen Bildern wiederkehren: Die Engel zum Beispiel. Aus meiner Sicht könnten sie sich auf das dämonische alter, vergangener Zeiten beziehen. Das Wort δαίμων entwickelte sich aus dem Verb daiesthai, das so viel wie teilen oder zu verteilen bedeutet. Engel hatten in nachantiker Zeit keine Konnotation des Übels oder der Böswilligkeit. ευ/δαιμονία zum Beispiel, war ein Synonym zum Glück oder Lebensglück. Bei Plato wird der Dämon als Gottesinspiration des Socrates beschrieben. Was machen die Engel in deinen Arbeiten?
K: Ich denke, die Engel drückten schon immer die Sehnsüchte des Menschen aus. Bei Raffael und anderen Malern seiner Zeit galten die Engel als die guten vermenschlichten Postboten, die zwischen Erd- und Himmelreich interagierten. Das Alleingute wie das Alleinschöne interessierte mich aber nie, infolge dessen sind all meine Engel etwas düsterer und damit vielleicht auch etwas irdischer, weil sie ganz einfach meiner Idee vom Menschen so besser entsprechen. Mit der ευδαιμονία, mit der Glückseligkeit oder der antiken Vorstellung von der Lebenskunst konnte ich aber schon als Jugendlicher und gerade vor diesem Hintergrund viel anfangen, da sie die Lehre von der Vereinbarkeit des Gegensätzlichen ist. Wahrzunehmen und erkennen, dass verschiedene Polaritäten in uns selbst wohnen und das es keinen Sinn macht, die scheinbar negativen Motive auszublenden als etwas nicht zu uns Gehöriges. Liebe und Hass, Hoffnung und Enttäuschung, der Freiheitsdrang sowie das Bedürfnis nach Bindung sind einander bedingende Wesenheiten, die es gilt, in ein kreatives Spannungsverhältnis zu überführen. – Im Alltag und natürlich vor der Staffelei!
G: Die Protagonisten deiner Bilder scheinen sich nicht bewusst zu sein, wie es weitergehen könnte. Sind es unwissende Träumende oder sorgen sie sich um ihre Zukunft oder gibt es einen anderen Grund? Kannst du uns mehr über die Charaktere in Ihren Bildern erzählen? Fühlen sie sich einsam?
…ein kreatives Spannungsverhältnis – Im Alltag und natürlich vor der Staffelei
K: Ein Malereispezifisches Problem ist, dass einzelne Figuren zumeist als Ausdruck der Vereinsamung verstanden werden. Und ich halte es auch für legitim, dies so zu interpretieren. Gleichsam aber ich würde lügen, wenn ich behaupte, dies genau so intentiert zu haben. Sehen Sie: Ich habe 1998 in einem Diptychon meine Frau Annett mit meiner Tochter Niki gemalt. Beide lachend in einer Badewanne liegend. Ein vorschnelles Mutter/Tochter – Idyll kann schnell suggeriert werden. Bei genauerer Betrachtung stellt man fest: Hinter dem Lächeln der Mutter steht der Tod und mit diesem kleinen Ausdruck verändert sich ein ganzes Bild. Das sind Kehrtwendungen, die ich mag – im Melancholischen wie im Humoresken!
G: Dich wird die Anwendung des Begriffes “wunder/wonder” nicht überraschen. Schließlich kommt das Wort „Wunderbar“ auf einem deiner Bilder vor. Ich verstehe, dass es keine religiösen Konnotationen dazu gibt. Auf Englisch das Wort“ Wunder” hat drei verschiedene Bedeutungen: a) Ein unerwartetes Gefühl, das sich mit Bewunderung vermischt durch etwas Fremdes oder letztlich Unerklärliches” b) der Drang zur Frage bzw. zum Wundern. Und c): Wie äußert sich das Wunder für Sie?
K: Ich bin nicht einverstanden warum gerade das Bild Wunderbar keine religiöse Bedeutung haben soll. Das große Mißverständnis ist, dass die Menschen die Wunder den Weltreligionen überlassen haben. Vielleicht ist der Wunsch nach dem Wunder säkulare Mystik. Ich weiß es nicht, was es ist. Ich glaube nur, dass im Streben nach dem Wunder etwas allgemein Menschliches liegt. Schließlich haben sich schon die Gnostiker mit der Seelenwanderung des Menschen befasst.
G: Die Einbildungskraft wurde dem Menschen gegeben, um ihn dafür zu entschädigen, was er nicht ist; ein Sinn für Humor, um ihn dafür zu trösten, was er ist, wie Francis Francis Bacon sagen würde. Könnte Kunst eine Art Praxis, ein therapeutischer Prozess für den Künstler sein, das Leben zu überstehen?
K: Das Therapeutische setzt ja bekanntlich zumeist an einer – wie auch immer gearteten – Störung an. Es mag Menschen geben, für die das Malen therapeutischen Charakter hat. – Für mich jedoch nicht. Vermutlich müsste eine Malerei, wenn sie therapeutisch betrieben würde, auch anders betrieben sein. – Ich weiß es einfach nicht, wie so etwas aussehen müsste. Wesentlich wichtigere Motive für das eigene Malen und Leben sind aber Arbeit und Askese, zumal ich dem Heilen nie sonderlich viel abgewinnen konnte. – Vermutlich kommt dies aber noch. Eine nach vorne gelebte Selbstübung zum Ziele der Selbstverbesserung ist zwar mühselig, aber mitunter hilfreich in dem Bemühen um eine bewusstere Lebensführung – Auch wenn ich es darin noch nicht weit gebracht habe.
G: Was sind deine Pläne für die Zukunft?
K: Ich betrachte mich als einen, der am Anfang steht. Infolge dessen gehe ich davon aus, dass das Beste noch bevorsteht.
©2014 Eleni Galani | Aris Kalaizis
Elena Galani ist Museologin und Schriftstellerin. Sie wurde 1976 in Athen geboren. Sie studierte Archäologie und Kunstgeschichte an der Kapodistria Universität Athen sowie an der Université de la Sorbonne/Paris und Museologie an der Ecole du Louvre und der
Universidad Autonoma in Barcelona. Seit 2013 lebt sie in Frankfurt am Main. Sie schreibt als freie Journalistin für verschiedene Kunst- und Literaturmagazine (bookpress.gr, Art22, diablog.eu etc.).